© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Mit dem Rücken zur Wand
Bulgarien: Ausufernde Zuwanderung und die Angst vor islamistischer Unterwanderung setzen die Regierung unter Druck
Maximilian Seidel

Bereits 2013 begann Bulgarien mit dem Bau eines Grenzaunes zur Türkei. Doch angesichts des immens wachsenden Migrationsdruckes – allein über die Landroute aus der Türkei in Richtung Griechenland und Bulgarien kamen nach Informationen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex zwischen Januar und Ende Mai diesen Jahres knapp 50.000 Zuwanderer – soll das stacheldrahtbewehrte Gebilde von aktuell 33 Kilometern Ausdehnung  um zusätzliche einhundert Kilometer verlängert werden. 

Fast alle wollen weiter nach Westeuropa

Nach Angaben des bulgarischen Innenministeriums soll der Grenzzaun, der beträchtliche finanzielle, menschliche und technische Ressourcen binden werde, Ende des Jahres fertiggestellt sein. Zudem sei geplant, die Gesetze derart zu modifizieren, daß auch die Armee  an den Brennpunkten eingesetzt werden könnte. Georgi Kostov, Sekretär des bulgarischen Innenministers, unterstrich in diesem Kontext, daß der Zustrom der Illegalen, besonders aufgrund Menschenschmuggels, derart angestiegen sei, daß die Polizei die Lage an der EU-Außengrenze nicht mehr unter Kontrolle habe. Bulgarien stehe mit dem Rücken zur Wand.  

Nicht nur die Sorge um die Unterbringung und Versorgung der illegalen Migranten setzt die bulgarische Regierung unter Druck. Auch die Angst vor einer Zunahme des militanten Islam verschafft dem Bauprojekt das politische Fundament. 

Bulgarien muß für den Unterhalt der Flüchtlinge gemäß EU-Recht aufkommen, erhält diesbezüglich auch Unterstützung von Frontex sowie  der EU. So entschied der Europäische Rat Ende Juni, daß sowohl Ungarn, das mittlerweile ebenfalls damit begonnen hat, einen Zaun zu Serbien zu errichten, als auch Bulgarien bei der Verteilung von 60.000 Flüchtlingen lediglich eine „symbolische Rolle bei den Solidaritätsbemühungen spielen müßten“.

Von „katastrophalen“ hygienischen Bedingungen in den provisorischen Aufflanglagern wie dem ehemaligen Kasernenkomplex Harmanli an der Grenze zur Türkei berichtet dagegen der Sprecher des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR Boris Tscheschirkow im Gespräch mit der Presse. Zwar liege die Anerkennungsquote für syrische Asylbewerber in Bulgarien bei 95 Prozent, doch es gebe keinerlei Strategie zu deren Integration, unterstreicht Tscheschirkow gegenüber dem Blatt: „Weder gebe es Sprachkurse noch Arbeit oder Wohngeld zur Anmietung bezahlbarer Wohnungen“. Überhaupt: „Fast alle“ wollten „weiter zu Angehörigen nach Westeuropa reisen“.

Derweil sind im bulgarischen Innenministerium Spezialeinheiten seit Wochen damit beschäftigt, kriminelle Gruppierungen aufzudecken, die in Menschenschmuggel und Geldwäsche verwickelt sind. Keine leichte Aufgabe, da die bulgarische Mafia innerhalb des Balkastaats ein ernstzunehmender Macht- und Wirtschaftsfaktor ist und gute Kontakte zur serbischen, türkischen, russischen und italienischen Mafia unterhält. 

Dennoch führte die bulgarische Polizei seit Anfang 2015 65 Spezialoperationen durch, um Migranten ausfindig zu machen, die sich illegal in Bulgarien aufhalten. Ende Mai gelang es, 150 illegale Migranten und zwei Ausländer festzunehmen, die illegale Migration organisieren. Anfang Juli nahm eine  Sondereinheit der Staatspolizei rund zwanzig illegale Immigranten aus Syrien, dem Irak und Afghanistan fest, ein Schleuserring wurde zerschlagen, der Bulgarien als Schmuggelweg für Menschen aus dem Nahen Osten nach West- und Mitteleuropa genutzt hatte. 

Kritische Blicke auf Roma-Hochburgen 

Die Illegalen, vor allem Iraker und Syrer, wurden ausgewiesen, „wegen Bedrohung der nationalen Sicherheit durch Transfer von Ausländern aus Risikoregionen, die potentiell mit terroristischer und extremistischer Tätigkeit in Verbindung stehen“, so die knappe Meldung des Innenministeriums. Die amtliche Information erhält zusätzliche Brisanz, da sich Indizien häufen, daß explizit die Flüchtlingsrouten über Bulgarien gern von Kämpfern des Islamischen Staates genutzt werden, die sich im Vorfeld bei der bulgarischen Mafia mit Pässen versorgt hätten.

Angesichts dieser diffusen Bedrohungslage wächst die Unruhe in der bulgarischen Politik und Bevölkerung. Sie wird untermauert durch ein Gerichtsurteil. Im „Imam-Fall“ setzte das Berufungsgericht im südbulgarischen  Plovdiv die Strafen für vierzehn Personen, angeklagt wegen Propagierung des radikalen Islam und Unterstützung der Ziele des radikalsunnitischen Islamischen Staates, herauf. 

Zuvor hatten Sondereinheiten bei Razzien in Roma-Hochburgen im Süden Bulgariens eine Zelle des IS ausgehoben. 20 Verdächtige wurden festgenommen, darunter der bereits vorbestrafte Imam der Moschee in dem Romaviertel von Pasardschik, Achmed Musa. 

Foto: Bulgarischer Zaun an der Grenze zur Türkei: Sofia will die 30 Kilometer lange Sperranlage ausbauen