© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Mit zweierlei Maß gemessen
Homo-Ehe: Medialer Jubel über das irische „Ja“ und Abscheu gegenüber dem „Nein“ der Kroaten
Lukas Noll

Mein Wahlverhalten ist keine Wahl gegen schwule und lesbische Menschen“, hatte sich „Most Reverend“ Diarmuid Martin kurz vor dem Referendum geradezu entschuldigt. Er habe keine Lust, seine religiösen Ansichten anderen Leuten aufzuzwingen, wusch mit dem Erzbischof von Dublin ausgerechnet der Oberhirte der einst mächtigsten Institution im katholischen Irland seine Hände in Unschuld. Das „No“ zur Homo-Ehe auf der Grünen Insel hatte Martin lieber seine Laien ausfechten lassen. Die haben am 22. Mai 2015 kräftig verloren: Mit wenig uneindeutigen 62 Prozent „Yes“ verabschiedeten sich die sonst so katholischen Iren von der klassischen Ehe zwischen Mann und Frau, nur in einem Wahlkreis konnten sich die Gegner der zuvor bereits im Parlament beschlossenen Homo-Ehe durchsetzen.

Ob die Iren dem Kirchenoberen mehr Gehör geschenkt hätten als ihren konservativen Laienvertretern, ist dabei müßig zu diskutieren. Realistisch ist es kaum angesichts der Mißbrauchsskandale, die sich nicht zuletzt katholische Bischöfe auf der Insel geleistet haben. Doch das überdeutliche „Yes“ ist zweifelsohne auch das Verdienst eines Konservatismus, der die Hände in den Schoß gelegt hat, statt für ein traditionelles Verständnis von Ehe und Familie zu werben.

Linke und Liberale nahmen den Ball aus Dublin gern auf

Kein Wunder, daß sich linke und gesellschaftsliberale Kräfte nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt ermuntert fühlen, es den Iren gleichzutun und die „Gleichstellung“ von Homosexuellen quasi auf dem Trittbrett einzuführen. Das Argumentationsmuster läuft dabei überall gleich: Wenn sogar die konservativen Iren das können, warum nicht auch wir, ist allerorten zu vernehmen. „Australia may go the Ireland way“, titelte der australische Ableger der amerikanischen International Business Times, Italiens Regierungschef Matteo Renzi fühlt sich von den Iren zur Einführung einer zivilen Lebenspartnerschaft nach deutschem Vorbild berufen, und der US Supreme Court beriet, ob er das Homoehen-Verbot in den 14 konservativ geprägten Bundesstaaten kassieren soll. Quintessenz: Die Homosexuellen-Lobby jubelte, und das Weiße Haus strahlte in den Regenbogenfarben. Mit dem Ergebnis von 5:4 Stimmen entschied der Oberste US-Gerichtshof Ende Juni, die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare ab sofort in allen 50 US-Bundesstaaten freizugeben und sie heterosexuellen Ehen gesetzlich gleichzustellen. 

Selbst in den Südpazifik ist die irische Homo-Euphorie vorgedrungen: „Es waren nicht die Pitcairn-Insulaner, die danach begehrt“ haben, stellte Meralda Warren, eine der 48 Bewohner des britischen Überseegebiets, klar. Aber es sei wie alles auf der Welt: „Es passiert überall sonst, also warum nicht?“ Die Wellen, die das Referendum in Deutschland schlägt, vermögen da nicht mehr verwundern. 

Auch in der Bundesrepublik hat das irische „Yes“ eine Debatte ausgelöst. Nicht nur in der Opposition aus Linkspartei und Grünen, auch in der Bundesregierung und aus den Reihen der CDU sind seitdem immer mehr Stimmen zu hören, die eine Aufweichung der traditionellen Ehe auch in Deutschland einfordern. „Es ist es einfach Zeit, sich ein Herz zu fassen und die Gleichstellung von homosexuellen mit heterosexuellen Menschen umzusetzen“, appellierte Grünen-Chefin Simone Peter an die Gefühlsebene. Längst versuchen die Sozialdemokraten, die Kanzlerin über den von ihnen dominierten Bundesrat via Gesetzesentwurf unter Druck zu setzen. Daß auch die Union lediglich noch abwartet, vom Bundesverfassungsgericht endlich unter Zugzwang gesetzt zu werden, pfeifen mittlerweile die Spatzen von den Dächern: So äußerte der bekennend schwule CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn in für die Union seltener Referendumsfreude: „Das Volk ist manchmal weiter als Politiker.“

In Kroatien war das im Dezember 2013 offenbar weder nach bundesdeutscher noch internationaler Lesart der Fall: „Lynchatmosphäre an der Adria“ philosphierte die taz, als sich Kroatiens Wähler vor anderthalb Jahren dafür entschieden, die Ehe als zwischen Mann und Frau festgelegt in die Verfassung zu übernehmen. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck forderte die katholische Kirche auf, „dem Schüren von Homophobie durch solche Kampagnen wie in Kroatien Einhalt zu gebieten“, statt diese zu unterstützen, wie es Kroatiens Bischöfe im Vorfeld des Referendums getan hätten. 

Die Frankfurter Rundschau erklärte gleich die gesamte Region zum „homophoben Balkan“ und die Deutsche Welle machte eine „Spaltung Kroatiens“ aus – und das, obwohl die Befürworter des christlichen Eheverständnisses sogar noch drei Prozente mehr einfuhren, als sie das irische „Yes“ in diesem Jahr auf die Waage brachte: 65 Prozent lautete das eindeutige Votum, das Kroatiens Wähler mit vehementer medialer Unterstützung der katholischen Kirche vor Ort abgaben. Der blanke Hohn, den sich das nur wenige Wochen später der EU beitretende Land anhören mußte, war damals nicht aufs Ausland beschränkt: „Kroatien wie einst“, titelte das kroatische Webportal „Index“ und setzte der Landesfahne ein weiß-rot-gewürfeltes Hakenkreuz auf – damit auch im eigenen Land klargestellt war: Das war kein einfaches Abstimmungsergebnis, auch nicht demokratisch, sondern faschistisch, wie Kroatien es seit Ustascha-Zeiten nicht wahr. 

„Heute die Homosexuellen, morgen ihr“, hatte sich Kroatiens Pop-Aushängeschild Severina noch vor der Abstimmung zum NS-Vergleich verstiegen, um die Kroaten gerade noch rechtzeitig zur linksliberalen Vernunft zu bringen. Vergeblich: Der sozialdemokratische Ministerpräsident Zoran Milanovíc war nach dem Referendum sofort zur Stelle und reihte sich in die Wählerbeschimpfung mit ein. Von einem „traurigen und sinnlosen“ Referendum sprach der Regierungschef und verbat seinen Landsleuten wie unartigen Kindern sogleich künftige Volksabstimmungen: „Dies ist das letzte Mal, daß eine Mehrheit einer Minderheit ihre Rechte beschneidet.“ Der Beifall aus dem Ausland war dem Sozialisten dafür sicher. 

Von Gedankenspielen des Auslands, das kroatische Eheverständnis auf andere Länder zu übertragen, war allerdings nichts zu hören. Die Debatte rund um das kroatische Ja zur traditionellen Ehe war so schnell aus den Zeitungen verschwunden, wie sie aufgetaucht war.

Postkommunistische Staaten   bieten Westen Paroli 

Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, was Kroatien und Irland denn so ungleich macht, wie es die Bewertung ihrer beiden Referenden von seiten der deutschen Öffentlichkeit ist. In beiden Ländern bekennen sich 87 Prozent der Bevölkerung zum katholischen Glauben, von dem sowohl Kroatien als auch Irland weiterhin stark geprägt sind.

 Auch die in Irland mit 4,5 gegenüber 4,2 Millionen kroatischen Einwohnern nur knapp größere Bevölkerungszahl vermag nicht die zusätzliche Relevanz zu erklären, die das Abstimmungsverhältnis der Iren im Gegensatz zu dem der Kroaten für Deutschland haben soll. Vielmehr dürfte es die gesellschaftlich vorgefertigte Einteilung in Gut und Böse sein, die Kroatiens Wähler zum Paria und die Iren zu Befreiern macht.

Nun brachte sich das in der Vergangenheit so gerne als klerikalistisch verspottete Irland mit dem offensiven Ja zur Homo-Ehe aus der Schußlinie, nachdem andere katholische Westeuropäer wie Spanien und Portugal bereits seit längerer Zeit „vorgelegt“ hatten. 

Der Blick des liberalen Europas wird sich damit noch mehr auf Europas Osten fokussieren, wo nach dem Niedergang des Sozialismus konservative und katholische Werte an Boden zurückgewinnen. Mit der Begeisterung angesichts des irischen Votums hält man sich hier nicht nur ausdrücklich zurück, längst hat der Osten Europas die Gegeninitiative ergriffen – denn alleine wähnen brauchen sich die Kroaten keineswegs: So ist in der Slowakei zwar jüngst ein Referendum an fehlender Wahlbeteiligung gescheitert, das die ohnehin nicht intendierte „Gleichstellung“ Homosexueller in Form eines Adoptionsrechts explizit verbieten wollte. Daß die Ehe „ausschließlich zwischen Mann und Frau“ bestehen kann, war aber noch im Sommer zuvor vom Parlament in der Verfassung festgeschrieben worden.

 Auch in der Slowakei sind über achtzig Prozent der 5,54 Millionen Einwohner katholischen Glaubens. Im katholischen Polen wurde erst im Mai dieses Jahres ein Gesetzesentwurf abgelehnt, der eine Legalisierung eigetragener Homo-Partnerschaften vorgesehen hätte. Und auch im Ungarn Viktor Orbáns ist keine Anpassung an etwaige Vorgaben aus dem liberalen Westen Europas zu erwarten: 2013 wurde durch eine Verfassungsänderung der Schutz der Familie ausdrücklich auf heterosexuelle Paare beschränkt. Während sich der Westen Europas in einer Art Siegestaumel der Homosexuellen-Gleichstellung berauscht, hat sich in den neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein östlich-konservatives Gegengewicht zum westeuropäischen Liberalismus eingefunden.

Eine kleine Ausnahme bilden dabei die baltischen Staaten. Obwohl sich im evangelisch geprägten Estland in Umfragen eine Mehrheit gegen die Homo-Ehe ausgesprochen hatte, votierte das Parlament mit 40 „Ja“ bei 38 „Nein“ und zehn Enthaltungern für die Einführung der Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare. Im katholischen Litauen sei dies undenkbar, erklärte der Journalist Romas Sadauskas-Kvietkevicius im Online-Nachrichtenmagazin Delfi. Doch statt des irischen Votums sieht er die Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofs als „Wegweiser für die unterdrückten Völker der Welt“. Dagegen offenbarten die Politiker Litauens nur „ihr Unvermögen, sich von einem von Haß und Angstmythen erfüllten postsowjetischen Diskurs zu befreien“. Die USA, so Sadauskas-Kvietkevicius, seien in deren Augen schon immer verdächtig gewesen, da sie mit ihren Moden die „traditionelle Lebensweise“ zerstörten.