© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die Gereiztheit der französischen wie der italienischen Führung angesichts der deutschen Haltung gegenüber Griechenland erklärt sich ganz einfach: Man erträgt nicht, daß man in Berlin nach derselben Maßgabe handelt wie man selbst, das heißt dem eigenen Interesse folgt.

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Bildungsbericht in loser Folge LXXVII: „Wer die verbreitete, aber keineswegs in allen Bundesländern zu beobachtende Inflation der Noten allein darauf zurückführt, daß unter den Abiturienten plötzlich eine Leistungsexplosion stattgefunden habe, muß ein unerschütterliches Vertrauen in die unbegrenzten Möglichkeiten der Lerner besitzen. Es liegt näher, die Erklärung bei den auf immer höhere Abiturientenquoten fixierten Kultusbehörden zu suchen, die zu einer Senkung der Anforderungen geführt haben. Dazu gehören die Marginalisierung muttersprachlicher Kompetenzen und der Bedeutungsverlust fachlichen Wissens. Sie ließen sich über das in den letzten Jahren in fast allen Ländern eingeführte Zentralabitur um so wirkungsvoller durchsetzen. Daß die zuständigen Politiker das bestreiten, verwundert nicht, möchten sie doch das Abitur für möglichst viele bei angeblich gleichbleibender Qualität als Erfolg ihrer Politik verkaufen.“ (Rainer Bölling)

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Volker Zastrow warnt. Vor einem neuen „Revisionismus“. Der stelle die Errungenschaften der Gegenwart in Frage, vor allem die politischen. Man muß ihm widersprechen. Tatsächlich bedürfen die großen Entscheidungen der letzten Jahre einer Revision, heißt Überprüfung: die Gefolgschaftstreue gegenüber den USA auch nach dem Kalten Krieg, der Abschluß der Verträge von Maastricht und Lissabon, die Schaffung der Währungsunion, die Öffnung der Grenzen, das Laissez-faire in bezug auf Einwanderung und das Entstehen von ethnischen Brückenköpfen in den westlichen Ländern, die Etablierung der Gender-Ideologie, die Hinnahme der Zerstörung des Bildungssystems usw. usf. Der Vorbehalt dagegen kann eigentlich nur so gedeutet werden, daß Zastrow weiß, zu welchem Ergebnis die Revision kommen wird: lauter Fehler, die dringend korrigiert werden müßten.

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Zu den Merkwürdigkeiten der immer wieder aufflammenden Debatte über die Rückkehr des Wolfs zählt die Besserwisserei der Heutigen, vor allem derjenigen, die auf der Ungefährlichkeit des Tiers beharren. Wie kommt man nur dahin, daß die Alten, die tatsächliche und nicht nur freiwillige Erfahrung mit dem Wolf hatten, nur Märchen über dessen Wesenszüge erzählten, und warum gibt nicht zu denken, daß die kriegerischsten Völker Eurasiens, von den Ariern über die Spartaner bis zu den Türken, gerade ihn als Totem wählten, und ihre Bünde nach dem Muster seiner Rudel bildeten?

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Die Tochter: „Wie kommt man eigentlich zu einer richtigen Unterschrift?“ Der Vater: „Sehr langweilige Schulstunden und Üben, Üben, Üben …“

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Bildungsbericht in loser Folge LXXVIII: „Abitur ohne Wert“ (Heike Schmoll)

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Zu den Ereignissen des Gedenkjahrs 1940, die völlig übergangen wurden, gehört der britische Angriff auf die französische Marine in Mers-el-Kébir am 3. Juli. Angesichts des zwischen Deutschland und Frankreich abgeschlossenen Waffenstillstands hatte London die Auslieferung der Flottenverbände des ehemaligen Verbündeten gefordert, um deren Einsatz auf gegnerischer Seite zu verhindern. Als die von Frankreich verweigert wurde, bombardierten britische Flugzeuge die Schiffe, die in einem Militärhafen nahe dem algerischen Oran vor Anker lagen, wobei mehr als tausend Männer starben. Das „N’oubliez pas Oran!“ – „Vergeßt Oran nicht!“ auf Plakaten war für einige Zeit allgegenwärtig und erklärt viel von dem massiven Stimmungsumschwung in Frankreich gegen Großbritannien. Erwähnt sei noch, daß de Gaulle im Exil den Angriff ausdrücklich rechtfertigte und am 3. September selbst an Bord eines britischen Kriegsschiffes war, das französische Einheiten vor Dakar attackierte. Einen der bei Mers-el-Kébir entkommenen Offiziere, Christian Le Mintier de La Motte-Basse, ermordete eine Gruppe des Maquis noch am 13. Juli 1944 mit der Begründung, daß er vier Jahre zuvor die Waffen gegen die Briten gewendet habe.

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Die Vorstellung von der Friedfertigkeit des Wolfs gehört zu demselben Syndrom wie Multikulturalismus, Leugnung der Menschenfresserei bei den Primitiven und Begeisterung ob jedes neuen Belegs für die Vermischung von Neandertaler und Homo sapiens sapiens.

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Unter den vier großen ideologischen Heimsuchungen, die Deutschland in den letzten hundert Jahren erfaßt haben – 1933 (braun), 1945 (rot, östlich), 1968 (rot, westlich), Gegenwart (lila-rosa) – ist die letzte die intellektuell erbärmlichste.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 7. August in der JF-Ausgabe 33/15.