© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Deutschland, ein Irrenhaus
Neonazi-Komödie: Dietrich Brüggemanns politische Satire „Heil“ teilt nach allen Seiten aus
Wolfgang Paul

Eine Komödie mit Rechtsradikalen, konnte das gut gehen? Skeptisch stimmt schon die Inhaltsangabe: Der gefeierte schwarze – „afrodeutsche“ heißt das heutzutage – Autor Sebastian Klein (Jerry Hoffmann) kommt auf einer Lesereise in die ostdeutsche Provinz, wo er von einheimischen Neonazis mit einem Schlag auf den Kopf begrüßt wird. Er verliert sein Gedächtnis und plappert alles nach, was ihm von Sven Stanislawski (Benno Fürmann), dem Anführer der Neonazis vorgesagt wird. Während ihm seine hochschwangere Freundin Nina Schmidt (Liv Lisa Fries) hinterherreist, gibt Sebastian, der Farbige, in Talkshows rechtsradikale Parolen aus ...

Mit einem angepaßten Drehbuchautor und Regisseur hätte das eine schlimme volkspädagogische Angelegenheit werden können. Nicht so mit dem unerschrockenen Dietrich Brüggemann, der schon mit „Renn, wenn du kannst“ bewiesen hat, daß man sich Behinderten nicht ehrfurchtsvoll nähern muß, und mit „Kreuzweg“, daß man ein religiöses Thema sehr eigenwillig und dabei frei von eilfertiger Kirchenkritik behandeln kann.

Nachdem er 2012 mit dem Rad an einem riesengroßen Plakat von „Kriegerin“ vorbeigefahren sei, habe er sich in einem Gespräch mit Michael Lehmann, dem Produzenten des Films, sagen hören: „Wäre es nicht mal an der Zeit für eine Komödie mit Neonazis?“ Satire erscheint Brüggemann als die einzige Form, „der komplexen Realität überhaupt irgendwie filmisch habhaft zu werden“. Politische Filme also nur in der Form der Komödie, und seine Anleihen an klassische Filmkomödien, an Ernst Lubitsch und Billy Wilder, sind unübersehbar. So verwandelt sich Stan Laurel in „A Chump at Oxford“, nachdem ihm das Fenster auf den Kopf gefallen ist, in den einstigen Elitestudenten Lord Paddington, der jetzt den armen Oliver Hardy hochnäsig herumkommandiert – bis ihm erneut das Fenster auf den Kopf fällt.

Ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowiert

Brüggemann gibt in seinem Film „Heil“ den naiven Betrachter der politischen Szene. Seine Neonazis, die sich als „Nazi-Hipster“ oder kurz „Nipster“ verstehen, sind eine vertrottelte Chaotentruppe, die auch mit Deutsch und Denglisch ihre Probleme hat. Nachdem sie Sebastian niedergeschlagen haben, tätowieren sie ihm erst einmal ein Hakenkreuz auf die Stirn, das sie aber bei seinen öffentlichen Auftritten unter einer Mütze verstecken. Auch ihr Emblem, das sie für ein aufsteigendes Hakenkreuz halten, stellt, mit klarem Kopf betrachtet, ein in den Mülleimer fallendes Hakenkreuz dar. Bei ihrem größten Coup, einem vorgetäuschten polnischen Überfall mit geklautem Panzer, schwenken sie statt der polnischen die österreichische Flagge. Das entspricht zwar dem in der Öffentlichkeit gezeichneten Bild, allerdings ohne die oft beschworene Gefahr, die von ihnen ausgehen soll.

Auch wenn der Schwerpunkt auf der Karikatur der Neonazis liegt, werden andererseits die Antifa, die Medien, Politiker, Verfassungsschutz und Polizei als nicht weniger verblödet gezeichnet. Selbst die Kultur- und Kunstszene (Schlingensief) wird nicht geschont. Deutschland, ein Irrenhaus, in dem es schwierig zu erkennen ist, ob die Neonazis oder die Antifa vor der Wohnungstür steht.

Schon im Titelvorspann zündet Brüggemann ein visuelles Feuerwerk, in dem er in schnellen Schnitten alles durcheinanderwirft, was Rang und Namen hat in Deutschland. Zeitgeschichte im Schnelldurchlauf. Im übrigen zeichnet sich der Film durch sorgfältig komponierte Einstellungen aus (Kamera wie bei allen Brüggemann-Filmen: Alexander Sass), was bei der Brisanz seines Themas vermutlich kaum Beachtung findet. Als ein kleines Wunder muß man es ansehen, daß das Drehbuch den Weg durch die hiesige Filmförderung geschafft hat.

Die wahre Genietat von Regisseur und Produzenten besteht allerdings in der großen Zahl der mitwirkenden Schauspieler. Auf der langen Darstellerliste finden sich so viele Personen aus der deutschen Filmszene, daß allein von dieser Seite aus kein Verriß des Films zu befürchten ist.