© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Die russische Karte in der deutschen Energiewende
Rohstoffmarkt I: Gaskraftwerke sollen Kohlemeiler ersetzen / Amerika und arabische Länder bieten keine realistische Lieferalternative
Thomas Fasbender

Vor acht Jahren besuchten Angela Merkel und ihr damaliger Umweltminister Sigmar Gabriel Grönland, um sich vor der Eiskulisse des Ilulissat-Fjordes ablichten zu lassen. Der Subtext lautete: Wegen der Erderwärmung schmelzen die Gletscher, die Eisbären sind in Gefahr – doch wir tun etwas gegen den Klimawandel. Inzwischen hat die Kanzlerin den Atomausstieg forciert, Gabriel das Glühlampenverbot durchgesetzt und ist zum SPD-Chef und Wirtschaftsminister aufgestiegen.

Doch Windkraft, Solarzellen und Biomasse reichen nicht für die deutsche Stromversorgung. Und in den neuen „Eckpunkten für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende“ wurde von der Koalition die „schrittweise Stillegung von Braunkohlekraftwerksblöcken in einem Umfang von 2,7 Gigawatt“ beschlossen. Statt dessen sollen mit Gas befeuerte Kraft-Wärme-Koppelungs-Anlagen (KWK) gefördert werden.

Der EU-Gasmarkt fährt Achterbahn

„Bei bestehenden KWK-Anlagen wird mit dem Ersatz von kohlegefeuerten durch gasgefeuerte Anlagen und der moderaten Förderung von Gasneubauvorhaben eine erhebliche Minderung von CO2 erreicht. Dazu werden wir im Rahmen der KWK-Förderung 500 Millionen Euro bereitstellen“, heißt es in der Regierungsvereinbarung. „Darüber hinaus wird ab 2021 als Teil einer Reservelösung für Süddeutschland ein Segment von bis zu zwei Gigawatt für neue, schnell startfähige Kraftwerke vorgesehen, die schwarzstartfähig und hoch flexibel regelbar sind.“

Doch erst einmal fährt der EU-Gasmarkt Achterbahn. Noch im Frühjahr hieß es, spätestens Ende Juni würden die ersten Röhren der auf 63 Milliarden Kubikmeter im Jahr ausgelegten Turkish-Stream-Pipeline unter dem Schwarzen Meer verlegt. Lieferant der Röhren für das Gazprom-Projekt sollte der italienische Saipem-Konzern sein. Anfang Juli kam plötzlich die Information, die russische Gazprom habe den Röhrenvertrag mit Saipem gekündigt. Droht nun das Aus für das Projekt?

Das würde ins westliche Konzept passen, unabhängiger von russischen Gaslieferungen zu werden. Denn noch immer kommen 30 Prozent des in der EU verfeuerten Gases aus Rußland. Der deutsche Verbrauch wird zu fast 40 Prozent durch russisches Gas gedeckt. Bulgarien, die Slowakei, Finnland und Polen sind zu 100 Prozent auf russisches Gas angewiesen, Ungarn zu 70 und Griechenland zu 54 Prozent. Zudem sind die EU-Energieleitungssysteme unzureichend integriert – während das eine Land seine Gaskraftwerke anwerfen muß, um in Spitzenlasten auszugleichen, wird das andere seinen Überschuß aus Wind- oder Sonnenenergie nicht los.

In Brüssel wurde dafür eigens eine Energie-Union erdacht, die auf maximale Integration aller betroffenen Bereiche zielt. Doch die Forderung nach einem einheitlichen EU-Gaspreis rief die Wettbewerbshüter auf den Plan. Manche empfahlen gar, daß man im Winter auch weniger heizen und sich wärmer anziehen könne. Zudem hat die Förderung in Norwegen und den Niederlanden ihren physikalischen Höhepunkt überschritten. Auch der seit 2002 verfolgte Plan einer Nabucco-Pipeline, die transkaspisches Gas am russischen Einflußbereich vorbei durch Anatolien nach Europa pumpen sollte, wurde 2013 vorerst aufgegeben.

Frackinggas aus Amerika oder Flüssiggas von den Arabern kann die gut 150 Milliarden Kubikmeter, die Gazprom jährlich in den Westen pumpt, ebenfalls nicht ersetzen. Unsummen wären erforderlich und das Ergebnis von den Kosten her inakzeptabel. Eine langfristige Alternative wäre ein von Sanktionen befreiter Iran. Die Islamische Republik verfügt über die größten Gasreserven der Welt, ist jedoch nirgends an die internationalen Netze angebunden.

Mit der Ukraine-Krise wurde das Tauziehen um die künftige europäische Gasversorgung noch härter. Auch aus russischer Sicht ist Vertrauen zerstört; die lange geplante Integration der Gazprom mit ihren europäischen Kunden ist dem Konflikt zum Opfer gefallen. Der erste Schritt war im Herbst 2014 die Absage an das South-Stream-Projekt nach Bulgarien. Zwei Monate später platzte mit der Einbindung der Gazprom als Miteigentümerin im Wintershall-Verteilungsmarkt ein mühsam ausgehandelter Aktiendeal. Als die Russen um den Jahreswechsel verkündeten, Turkish Stream zu bauen und ab 2019 kein Transitgas mehr durch die Ukraine zu liefern, war die EU endgültig vergrätzt. Doch dann gab EU-Kandidat Mazedonien bekannt, es werde die Pipelineführung durch das kleine Bal-kanland verweigern, solange sich Brüssel und Moskau vertraglich nicht geeinigt hätten – ein Treffer für die EU.

Dann als Überraschung im Juni 2015 der G8-Beschluß im bayerischen Elmau: Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen im Lauf des Jahrhunderts. Viel schneller als ursprünglich angedacht werden nun die CO2-ärmeren Gaskraftwerke auch in Deutschland einen wachsenden Teil der Grundlast übernehmen müssen. Kurz darauf unterschrieben Gazprom, Eon, ÖMV und Shell eine Absichtserklärung zur Verdoppelung der North-Stream-Kapazität auf 110 Milliarden Kubikmeter. Gazprom schließt inzwischen auch einen Anschlußvertrag zum Ukrainetransit nicht mehr aus. So könnten Rumänien, Bulgarien und Griechenland auch nach 2019 bedient werden. Darüber hinausgehende Lieferungen nach Mitteleuropa können auch durch die erweiterte Ostseepipeline gepumpt werden.

Liefert vielleicht der allseits propagierte Klimaschutz den Anlaß, daß Rußland und die EU ihre Reibereien überwinden? Nicht ausgeschlossen, daß eines Tages dann auch Turkish und South Stream wieder auf die Agenda kommen. Denn im Unterschied zum Erdöl reichen die russischen Gasreserven noch für viele Generationen.

Koalitionspapier„Eckpunkte für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende“:  www.bmwi-energiewende.de