© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Reise zwischen zwei Weltmeeren
Panama und sein Kanal: An einem Ende frönen die Panamaer dem Luxus, an dem anderen dominieren Armut und Kriminalität
Lukas Noll

Wer den Amador Causeway entlangfährt, begibt sich sechs Kilometer weit ins offene Meer hinein. Meist sind es SUVs oder Cabrios, die hier verkehren, und auf nicht wenigen ihrer Fahrzeuganhänger sind Motorboote und kleine Yachten befestigt. Das nächste Stück Land gen Westen ist nicht auszumachen. Über vier Inseln hinweg zieht sich der schmale Landstreifen von Panama-Stadt aus in den Pazifik hinein, am Wegesrand liegen Luxusyachten und Katamarane, teure Fischrestaurants und protzige Villen. 

Daß die der Hauptstadt vorgelagerten Inseln per Straße verbunden sind, paßt zum Antlitz der reichen Metropole. Auch wenn es die Amerikaner waren, die den Causeway 1913 aus Kanalgrabungen erschufen und bis 1945 als Militärbasis nutzten, strategisch vor der Pazifikausfahrt des Panamakanals positioniert. Seit die Amerikaner abgezogen sind, dürfen sich auch Normalsterbliche auf den Damm wagen. Wohl nirgends bietet sich dem Betrachter ein so umfassender Blick auf das gigantische Wolkenkratzermeer, das aus dem einst beschaulichen Kolonialstädtchen der Spanier mittlerweile geworden ist. Von Panamas antiker Altstadt aus sähe man nur die eine Hälfte des Hochhausdschungels. 

Dabei sind es nur knapp über 800.000 Menschen, die sich zwischen Kanal und abgeholztem Urwald hier eingefunden haben, im Ballungsraum knapp 1,2 Millionen. Für das „Miami Mittelamerikas“ verwunderlich wenig. „Das einzige, was uns von Miami unterscheidet, ist wohl, daß hier mehr Leute Englisch sprechen“, sagt Carlos Albenis lachend. Der Taxifahrer kennt  die Stadt wie seine linke Westentasche. Seit er 18 ist, verkehrt der Panameño mit italienischen Wurzeln zwischen Causeway und dem internationalen Flughafen Tocumén hin und her.

Slum von Panama-Stadt soll verschwinden

„Achtet mal abends auf die Hochhäuser“, deutet er, während er sich durch den stockenden Verkehr der abendlichen Rush Hour schlängelt. „Ihr werdet in fast keinem dieser Türme auch nur ein Licht brennen sehen. Diese Wolkenkratzer stellen uns irgendwelche Oligarchen hin, Investoren aus Rußland, die ihr Geld lieber in einem Hochhaus sehen als in den Händen ihres Staates“, führt er aus. „Aber eigentlich stehen viele dieser Teile völlig leer.“ Die Investoren warteten, bis der Standort erst so richtig teuer werde. Dann sollen die leerstehenden Bürohäuser gewinnbringend versteigert werden.

Es gibt genug Grund zur Annahme, daß es nicht mehr lange dauert. Der Panamakanal brummt. Noch immer generiert der Kanal acht Prozent des panamaischen Bruttoinlandsprodukts und macht den Staat von der Größe Bayerns zu einem der wohlhabendsten in ganz Lateinamerika. Doch je reicher das Land an den Kanaleinnahmen wird – 2013 hat Panamas Pro-Kopf-Einkommen sogar das als „Schweiz Mittelamerikas“ geltende Costa Rica überflügelt –, desto weniger scheint es die Kehrseite seines Aufschwungs ertragen zu können. 

Es sind Elendsviertel wie das zentral gelegene El Chorrillo, in das sich nicht einmal der Taxifahrer Albenis hineinwagt. „Für Ausländer ist das Selbstmord“, warnt er. „Die rauben euch auf offener Straße aus.“ 

Zwar trauen sich Polizeikräfte durchaus noch gelegentlich in den Slum, um für Ordnung zu sagen. Doch auch die Regierung will dem Schandfleck von Armut und Kriminalität in unmittelbarer Nähe zu historischer Altstadt und Costanera nicht länger zusehen. 

El Chorrillo, was man aus dem Spanischen sowohl mit Strahl als auch mit Pechkohle übersetzen kann, paßt nicht länger zu dem modern angelegten und penibel gepflegten Küstenstreifen, den sich Panamas Hauptstadt in den vergangenen Jahren als Gesicht zum Meer hin verpaßt hat: Gepflegte Fahrrad- und Fußgängerwege laden zum Joggen und Inlineskaten an der Promenade ein, aus Springbrunnen sprudelt neonblaues Wasser, und wen der neben gepflegten Palmengärten angelegte Weg noch nicht zur Fitneß bringt, wird spätestens bei den vielen Turngeräten schwach, die zum Sport mit Pazifikblick einladen. 

Daß kaum zwei Kilometer weiter die Anarchie des Chorrillo herrscht, ist von hier aus schwer vorstellbar. Darum will Panamas Stadtregierung das Elendsviertel in den nächsten Jahren dem Erdboden gleichmachen – und die Bewohner  gleich mitnehmen lassen. Denn direkt vor Panamas Skyline sollen kleine Inselchen aufgeschüttet werden, für die man auf reiche Abnehmer hofft. Auch in El Chorrillo sollen statt heruntergekommenen Häusern künftig die Villen zahlungskräftiger Kreise die komfortable Lage mit neuem Glanz füllen. Das eine soll dabei das andere bedingen. Mit Arbeitsverträgen will die Stadt die Armen nicht nur aus dem Viertel, sondern auch aus der Armut locken: Anzupacken dürfte es bei den Landauftragungen im Meer nämlich genug geben.

Beschäftigung verspricht nach wie vor auch der Kanal selbst: Erst 2006 haben die Panameños in einer Volksabstimmung für eine Kanalverbreiterung gestimmt. Längst schippern mit den sogenannten Post-Panamax-Frachtern Tanker über die Weltmeere, welche durch Amerikas Mitte nicht mehr hindurchpassen. Bis Mitte 2016 soll das behoben sein, wobei Panama trotz klarer Standortüberlegenheit argwöhnisch auf die potentielle Konkurrenz in Nicaragua schielt (JF 5/15). Das von Umweltschützern heftig kritisierte Vorhaben, das durch den riesigen Nicaraguasee führen soll, wird direkt auf die neuen Riesentanker zugeschnitten.

Doch auch wenn der Konkurrenzkanal im sozialistisch regierten Nicaragua noch lange Zeit nicht mehr als das Hirngespinst chinesischer Investoren sein wird: Will die Fahrt durch Gatún-See und Miraflores-Schleuse auch künftig wettbewerbsfähig bleiben, muß sie breiter werden. 427 Meter lang und 55 Meter breit sollen die neuen Schleusen werden.

„Ich erkenne meine alte Heimat nicht wieder“

Wenige Kilometer abseits der Schleuse verbindet der Puente de las Américas Panamas Norden mit dem Süden. Oder sind es Westen und Osten? Das Land hat sich so bequem in den gewöhnlich steil von Norden nach Süden abfallenden Doppelkontinent eingepfercht, daß man sich ernsthaft darüber streiten könnte. Jährlich fahren über 14.000 Schiffe unter der Brücke hindurch. Weniger ausgebaut als der Brückenabschnitt der bekannten Panamericana ist dagegen die Straße zur panamaischen Karibikseite. Die meisten Touristen kennen diese nur in Form der Bocas del Toro. Die Inselgruppe nahe der costaricanischen Grenze macht Panama immer attraktiver für Besucher des touristisch bereits gut erschlossenen Nachbarlandes. Weniger bekannt sind da schon die weitgehend autonomen Indianergebiete des Kuna-Stamms, die den Tourismus in eigens begrenztem Maße zulassen.

Die Stadt Colón dagegen meiden Ausländer wie Panameños wie der Teufel das Weihwasser. „Wir haben in Panama zwei Typen von Schwarzen. Es gibt die Bocas-Schwarzen, die begriffen haben, daß sich mit dem Tourismus Geld auf den Inseln machen läßt“, erklärt Albenis im Hinblick auf die mehrheitlich afroamerikanisch bevölkerte Karibikseite. „Und es gibt die Colón-Schwarzen. Die herumlungern, stehlen und alles dafür tun, daß niemand ihre gottverdammte Stadt betreten will.“ 

Dabei ist die 240.000-Einwohner-Metropole das Eingangsportal des Panamakanals. Zweifelsohne ein wenig einladendes: Heruntergekommene Häuser und leerstehende Fabrikhallen säumen das Straßenbild, vielerorts macht die Stadt den Eindruck, als hätte ein Erdbeben oder einer der karibischen Hurrikane gewütet. Reiseführer warnen die Schiffstouristen gerne einmal vor Colón. In Panamas unheimlicher Eingangsstadt sollte nur von Bord gehen, wer unbedingt in den Genuß der steuerfreien Freihandelszone mit ihren sterilen Einkaufszentren kommen will.

Um den historischen Hafen von Portobelo zu erreichen, führt an einer Busfahrt über den Umsteigehalt Colón allerdings kaum ein Weg vorbei. Colóns baulich abgeschirmter Busbahnhof verspricht ein vergleichsweise sicheres Refugium im Vergleich zu den verdächtig leeren Straßenzügen selbst im Stadtzentrum zu sein. Ein vermeintliches. 

„Ich zeige euch den Weg zum Bus nach Portobelo“, sagt ein gebückt gehender Mann mit ungewaschener Dreadlockfrisur bestimmt. Das dankende Ablehnen überhört er bewußt und weist nach einigen Metern auf einen von den USA ausrangierten Schulbus. „Dafür kriege ich zwei Dollar, habt ihr das verstanden?“ wird er forscher. Daß seinem Befehl nur unzureichend nachgekommen wird, macht den Mann geradezu rasend. „Ein Dollar? Ist das euer verdammter Ernst?“ schreit er und betritt drohend den Bus, bis er vom Fahrer hinaus verwiesen wird.

Die Küste abwärts wartet mit Portobelo nicht nur eine wunderschöne Bucht als Kontrast zur gefährlichen Provinzhauptstadt am Panamakanal. Mit dem „schönen Hafen“ errichtete Christoph Kolumbus hier einst seinen ersten Hafen in der Neuen Welt. 

Doch das malerische Refugium, das die mit alten Kanonenrohren verzierte Zinnenkulisse der alten Hafenanlage zeichnet, erkennt Marisol Lopez in ihrer alten Heimatstadt nicht mehr. In Portobelos Wallfahrtskirche kniet sie vor der bekannten Schwarzen Madonna. „Die Menschen sind bösartig geworden“, wispert sie bedrückt. „Überall lauert das Verbrechen. Ich erkenne meine alte Heimat nicht wieder.“ 

Vor 36 Jahren ist sie in die USA  ausgewandert, nur alle paar Jahre besucht sie die panamaische Heimat. Nach Colón will sie keinen Fußbreit mehr setzen. Und hat dafür gleich einen Tip parat: Lieber steigt sie bereits an der Hauptstraße vor der Abzweigung nach Colón aus, um den Bus nach Panama-Stadt per Anhalter zu nehmen. Knapp zwei Stunden braucht der Bus für die knapp achtzig Kilometer in die Landeshauptstadt. Es ist mehr als eine Reise zwischen  Weltmeeren.

Foto: Imposante Silhouette von Panama-Stadt: Mit seinem Meer an Wolkenkratzern kann es das am Pazifik liegende „Miami Mittelamerikas“ mit jeder anderen Metropole der Welt aufnehmen – nur die Elendsviertel stören