© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

In der historistischen Dauerreflexion: Mit Religion ist kein Staat mehr zu machen
Politik religiös beeinflussen
(wm)

Im „Vormärz“, dem Jahrzehnt vor den Revolutionen von 1848, so belehrt der Theologe Friedrich Wilhelm Graf die Hörer seiner Münchner Abschiedsvorlesung, habe die „elementarste Geistesrevolution der Moderne“ begonnen (Zeitschrift für Ideengeschichte, 2/2015). Trat seitdem doch die Religionskritik, die sich seit dem 18. Jahrhundert bemüht hatte, „vernünftige“ Kerne positiven Glaubens zu retten, ins „intellektuelle Geschäft“ radikaler „Historisierung“ ein. Und diese historistische Dauerreflexion, die alle religiösen Gehalte als ausschließlich kulturell bedingt dekonstruiere, führte bereits um 1900 zur verbreiteten Einsicht, das Christentum sei nur eine Religion neben vielen und könne ihren Anspruch auf Absolutheit nicht mehr rechtfertigen. Da sich auf Religion keine verbindliche Wertordnung mehr gründen lasse, müsse sich „theologische Aufklärung“ heute gegen alle Versuche stemmen, Politik religiös zu determinieren. Eine Gefahr, die nicht allein mit den islamischen Theokratien heraufziehe. Auch das Christentum, von dem sich eine erstarkende religionsbezogene „Governance-Forschung“ Legitimationsgewinne für westliche Systeme erhoffe, stütze nicht automatisch die Demokratie, wie die „östlich-orthodoxen Christentümer“ bewiesen, die die Idee vorstaatlicher individueller Grundrechte genauso ablehnten wie den Parlamentarismus. 


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