© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Der Kaiser, dem Deutschland nie heimelig war
Vor 800 Jahren begann die Regentschaft des Staufers Friedrich II. / Politik interessierte den wissensdurstigen „Sizilianer“ wenig
Jan von Flocken

Der italienische Chronist Fra Salimbene von Parma berichtet über einen grausamen Menschenversuch, der Mitte des 13. Jahrhunderts stattfand. „Einmal befahl Friedrich den Ammen und Pflegerinnen, sie sollten den neugeborenen Kindern Milch geben, die sie von ihren Brüsten saugen möchten, sie baden und waschen, aber in keiner Weise mit ihnen schöntun oder zu ihnen sprechen. Er wollte nämlich erforschen, ob sie die hebräische Sprache sprächen als die älteste oder Griechisch oder Latein oder Arabisch oder aber die Sprache ihrer Eltern, die sie geboren. Der Kaiser wartete vergeblich, weil die Knaben alle starben.“ Auch die Ursache wußte Salimbene: „Denn sie vermochten nicht zu leben ohne das Händepatschen und das fröhliche Gesichterschneiden und die Koseworte ihrer Ammen.“ Das Ganze entsprang dem unstillbaren Wissensdurst von Kaiser Friedrich II., den schon seine Zeitgenossen „stupor mundi“ (das betroffene Staunen der Welt) und „immutator mirabilis“ (wundersamer Verwandler) nannten.

Einsatz für die Wissenschaft war untypisch für seine Zeit

Als Friedrich vor 800 Jahren, am 23. Juli 1215, vom Mainzer Erzbischof Siegfried zu Aachen die römisch-deutsche Königswürde empfing, galt der zwanzigjährige Sohn des schon 1197 verstorbenen Kaisers Heinrich VI. noch als „Kind von Apulien“. Es war jene unteritalienische Region, der Friedrich zeitlebens eng verbunden blieb. Seine Vertrauten nannten ihn nur „Federico“.

Die Vita des Monarchen, der inmitten einer seltsamen arabisch-normannisch-byzantinisch-jüdischen Mischkultur aufwuchs, ist geprägt von Eigenwilligkeiten bester und schlimmster Natur. Friedrich II. gründete eine Universität in Neapel, ließ andererseits jedoch Gefangene in fest verschlossene Fässer sperren, um festzustellen, ob nach deren Erstickungstod die Seele sofort oder später entwich.

Nachdem er den Ätna gesehen und von anderen Vulkanen gehört hat, möchte er genau wissen, woher sie gespeist werden und welche Kraft aus dem Boden kommt. Er fragt, „ob da etwas anderes ist, was die Erde trägt?“, auch „Dicke und Länge dieses Erdkörpers“ interessieren ihn. Daß er sich dabei nicht nur auf abendländische Gelehrte verläßt, sondern auch arabische konsultiert, betrachten christliche Eiferer als ketzerisch. Prompt wird er vom Papst exkommuniziert. Unbeeindruckt ruft der Kaiser zu Salerno eine anatomische Fakultät ins Leben und gestattet das bis dato streng verbotene Sezieren von Leichen. Er umgab sich mit Wissenschaftlern, Philosophen und Poeten, griff gern selbst zur Feder und verfaßte unter anderem ein sachkundiges Buch über die Falkenjagd. „Friedrich von Staufen sprengte die im Hochmittelalter geltenden Normen“, konstatiert sein Biograph Dieter Wunderlich.

Politisch blieb der Mann aus dem Hohenstaufer-Geschlecht ein Versager. Dies betraf insbesondere sein Verhältnis zum Deutschen Reich, dessen Kaiserkrone er seit 1220 trug. Sein Desinteresse an deutschen Belangen war nicht zu übersehen. Bei Grenzüberfällen der Nachbarn, so 1227 durch den König von Dänemark, mußten die örtlichen Feudalherren sich allein behelfen. Selbst 1241, als ein fürchterlicher Mongolensturm die deutschen Ostprovinzen zu überrollen drohte, blieb Friedrich passiv. Schlesische Adlige unter Führung von Herzog Heinrich dem Frommen stemmten sich entgegen und bezahlten es fast alle in der Schlacht bei Liegnitz am 9. April 1241 mit ihrem Leben. Als die Mongolen sich aufgrund horrender Verluste zurückzogen, sandte der Kaiser ihnen nur einen unangemessen albernen Brief hinterher.

Als Mann mit etwa 35 Jahren entwickelte er immer größere Marotten. Wer sich ihm näherte, mußte seine Füße küssen wie einem orientalischen Despoten. Über seinen letzten Deutschlandbesuch 1237 berichtet ein Zeitgenosse: „Ihm folgten Wagen, beladen mit Gold und Silber, mit Byssusgeweben und Purpur, mit Gemmen und kostbarem Gerät. Er kam mit vielen Kamelen und Dromedaren, mit Affen und Leoparden, er führte zahlreiche, vieler Künste kundige Sarazenen und Äthiopier mit sich, die sein Gold und seine Schätze bewachten.“

Hinter Friedrichs Taten steckte oft sein politscher Chefberater und böser Geist Pietro de Vinea. Dieser intrigante Italiener sorgte dafür, daß der Kaiser 13 Jahre lang den deutschen Boden nicht mehr betrat, sich lieber mit wechselnden Päpsten herumstritt und in die inneren Belange Siziliens eingriff. Das Ränkeschmieden lag Vinea so im Blute, daß er 1249 in ein Giftmordkomplott gegen den Kaiser geriet. Friedrich ließ ihm die Augen ausstechen und ihn im Kerker vermodern.

Später setzte in Deutschland ein Kult um seine Person ein

Erstaunlicherweise bildete sich Jahrhunderte nach Friedrichs Tod Ende 1250 gerade in Deutschland ein Kult um seine Person, die man oft mit seinem gleichnamigen Großvater, genannt „Barbarossa“, verwechselte. Das ging bis zur schwärmerischen Rezeption des Staufers im Kontext des „Geheimen Deutschland“ im Kreis um den Lyriker Stefan George. Erlöser von Zwist und Kleinstaaterei sollte ausgerechnet jener Mann werden, den Deutschland nie interessiert hatte. „Nach und nach wurde seine Gestalt mit der seines Großvaters zum Bild eines Messias-Kaiser verwoben“, schreibt Bruno Gloger in seiner Friedrich-Biographie. Die Realität sah dagegen sehr bitter aus. Schon vier Jahre nach Friedrichs Tod ging es mit der Herrlichkeit des Hohenstaufer Königtums zu Ende. Weitere 14 Jahre später war das gesamte Geschlecht im Mannesstamm ausgerottet.