© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Der Flaneur
Flirten ernst und ohne Witz
Josef Gottfried

Mir gegenüber sitzen zwei Amerikanerinnen und zwei Deutsche, alle so Anfang 30, nicht jünger, und so anziehend wie Leute, die in diesem Alter noch nicht oder nicht mehr gebunden sind. Sie unterhalten sich in amerikanischem Englisch und in einem Englisch, das sich so anhört wie amerikanisches. Manche Dinge sind amazing, andere awkward, die girls trinken ihre Halbe hier im Würzburger Biergarten, wie sie wohl einen Tee in Tunis oder einen Wodka in St. Petersburg trinken würden. Nicht wie Touristen, sondern wie welche, die hier für eine gewisse Zeit leben.

Alle vier scheinen aus dem universitären Umfeld zu kommen, die boys, akademikerschlank, gut getrimmte Dreitagebärte und lässige Frisuren über den zeitgemäßen Brillen, haben garantiert kein Handwerk gelernt. Und die girls, in bluejeans und t-shirt, alles gut sitzend, aber keineswegs obszön, könnten mit ihren langen glatten Haaren auch im Disneyclub singen, wenn sie 20 Jahre jünger wären, oder ein College besuchen, wenn sie zehn Jahre jünger wären.

Sicher kennen sie sich noch nicht lange, sonst würden sie doch abklären, wer jetzt mit wem.

Vielleicht sind sie ja Tagungs- oder Kongreßteilnehmer, vielleicht auch Dozenten in einem akademischen Austauschprogramm der, sagen wir mal, Verkehrsökonomie oder Stadtplanung. Jedenfalls haben sie jetzt frei und reden Englisch, die girls normal und die boys so wie Deutsche, die stolz auf ihr Weltbürgertum sind. Es liegen zwar keine Unterlagen auf dem Tisch, aber die Themen sind ernst, politischer Kram, und die boys plustern sich auf mit ihren richtigen Ansichten, manches ist impressive, anderes wieder ridiculous, aber sie flirten, ohne einen einzigen Witz zu machen.

Die Amerikanerinnen gehen zwischendrin mal gemeinsam aufs Klo, die Deutschen gucken derweil auf ihre Smartphones. Sicher kennen sie sich noch nicht sehr lange, sonst würden sie doch mal abklären, wer jetzt mit wem – aber nicht doch. Sexistisch sind sie ganz bestimmt nicht.