© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Merkel will’s noch mal wissen
Paul Rosen

Bei der CDU überschlagen sich die guten Nachrichten. Während jüngste Umfragen die Partei bei 43 Prozent und damit in der Nähe der absoluten Mehrheit der Mandate sehen, zerlegen  sich die Konkurrenten in Serie. Der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, der Merkel als Regierungschef 2017 ablösen möchte, bekommt aus der eigenen Partei und nicht etwa von der CDU den Rat, bei der kommenden Bundestagswahl erst gar nicht als Kanzlerkandidat anzutreten. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) macht der SPD den geradezu tollkühnen Vorschlag, keinen Kanzlerkandidaten mehr aufzustellen. Die Partei fühlt sich offenbar fest eingemauert im 25-Prozent-Turm. 

Die Alternative für Deutschland (AfD), die bei der Europawahl tief in das Fleisch der Union schnitt und ihr einige Sitze im Straßburger Europaparlament abnahm, zerlegt sich selbst. Sie wird in der CDU-Zentrale derzeit nicht mehr als reale Gefahr eingeschätzt. Die CDU-Schwesterpartei CSU liegt nach dem Maut-Desaster und der verfassungsgerichtlichen Niederlage beim Betreuungsgeld am Boden. CSU-Chef Horst Seehofer wird vermutlich keine Mitspracherechte bei der Kanzlerkandidaten-Bestimmung der Union anmelden. Das dritte Griechenland-Hilfspaket hat zwar große Risse in der Unionsfraktion sichtbar werden lassen, Merkels Macht bisher aber nicht unmittelbar gefährdet.  

Deshalb konnte die CDU Berichte in den Zeitungen plazieren, wonach die Parteiführung entschlossen sei, 2017 wieder mit Merkel in den Wahlkampf zu ziehen, die damit ihren Zenit erreicht haben dürfte. In der Partei gab es keine Debatte zum Thema Kanzlerkandidatur.  Auch die deutsche Öffentlichkeit nahm nur wenig Notiz von der Nachricht. Der Grund liegt auf der Hand: Niemand hatte erwartet, daß die CDU jemand anderen als Merkel präsentieren würde. Die einzig spannende Frage ist eigentlich nur noch, ob Merkel bis 2021 durchregieren oder vorher den Stab an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin übergeben will. Das heißt auch: Zweifel, daß Merkel und die Union gewinnen, gibt es zur Zeit anscheinend nicht mehr. 

Aus taktischer Sicht hat Merkel die CDU sehr gut positioniert, indem sie die Partei weit ins linke Lager verschob. Trotz der Aufgabe konservativer Positionen und der serienweise vollzogenen und der noch bevorstehenden Übernahme linker Forderungen („Ehe für alle“, Einwanderungsgesetz) drohen auf Bundesebene keine Stimmenverluste. Die SPD bleibt so schwach, daß das „historische Bündnis“ aus Roten, Dunkelroten und Grünen nicht zustande kommen könnte. Zudem bewirkt die CDU-Linksverschiebung (der die CSU mit Zeitabstand folgt) die direkte Koalitionsfähigkeit mit den Grünen. Merkel ist entschlossen, die schwarz-grüne Karte zu ziehen, falls die SPD ihr Schwierigkeiten machen sollte. 

Mit ihrer Wiederwahl würde sie in Helmut Kohls Dimensionen vorstoßen, der die Bundesrepublik 16 Jahre lang regierte und als „Kanzler der Einheit“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Merkel hingegen hat es bisher nur zum internen Titel „Mutti“ gebracht.