© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

Merkels Mann fürs Grobe
Griechenland-Rettung: Mit seiner Drohung gegen Abweichler aus den eigenen Reihen sorgt Unions-Fraktionschef Volker Kauder für Unmut
Paul Rosen

Volker Kauder macht seinem Spitznamen in der Fraktion wieder alle Ehre. „Schauder-Kauder“ pflegt man den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion wegen seiner oft peinlichen Auftritte zu nennen, weil der aus dem baden-württembergischen Hoffenheim stammende Jurist manchmal fast wie ein Bauerntölpel Kanzlerin Angela Merkel und die quasi sozialdemokratische Politik der CDU verteidigt – wenn es sein muß, auch gegen besseres Wissen und frühere eigene Bekundungen. Am vergangenen Wochenende hat „Merkels Mann für Macht und Mehrheiten“ (Tagesspiegel) jedoch dermaßen übertrieben, daß er öffentlichen Widerstand aus der eigenen Fraktion im Dutzend zu hören bekam. Damit beginnt   eine Ausnahmesituation in der Union, wo innerer Widerstand bisher bestenfalls von anonymen Heckenschützen geleistet wurde. 

In einem Interview mit der Welt am Sonntag nahm Kauder zu den sogenannten Abweichlern in seiner Fraktion Stellung. Das sind jene Abgeordnete, die nicht an die erfolgreiche Rettungspolitik der Europäer für Griechenland glauben wollen. Die sollen nach Kauders Vorstellungen nicht mehr in wichtigen Bundestagsausschüssen sitzen, wo die finanzpolitisch bedeutsamen Entscheidungen über Griechenland-Hilfen und anderes fallen. Rund 350 Milliarden Euro hat das Land an der Südostflanke Europas schon erhalten, mit dem dritten Hilfspaket werden mindestens 86 Milliarden Euro dazukommen. Trotz der Geldflut blieb das weiter hoffnungslos überschuldete Griechenland eine Ödnis. „Ich halte die Schuldentragfähigkeit nicht für gegeben, die ja eigentlich immer als das Maß aller Dinge gesehen wurde, sagte der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Finanzausschuß, Hans Michelbach, der gegen das dritte Hilfspaket stimmen will. 

Nach Kauders Vorstellungen dürfte Michelbach sich bald im Sportausschuß oder im Ausschuß für Tourismus wiederfinden. Zwar will Kauder die Disziplinarmaßnahmen nicht auf alle Gegner der Griechenland-Hilfe anwenden und erinnert an Wolfgang Bosbach (CDU), der Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses bleiben durfte (bis er zurücktrat). „Aber diejenigen, die mit Nein gestimmt haben, können nicht in Ausschüssen bleiben, in denen es darauf ankommt, die Mehrheit zu behalten: etwa im Haushalts- oder Europaausschuß.“

„Ich lasse mich nicht einschüchtern“ 

Der Druck, den Kauder ausübt, steigt offenbar in dem Maße, wie sich die Zahl der Abweichler erhöht. Bei den ersten Abstimmungen zur Euro-Rettung zu Zeiten der schwarz-gelben Koalition waren es vier, 13 beziehungsweise zwölf Nein-Stimmen. Die symbolträchtige Kanzlermehrheit wurde zwar in zwei Abstimmungen nicht erreicht, war aber auch nicht notwendig, und damit blieb Merkel ungefährdet. Im Februar dieses Jahres stimmten 29 Unionsabgeordnete bei einer Griechenland-Abstimmung mit Nein – nur die vielen SPD-Stimmen bewahrten Merkel vor einer Niederlage. Im Juli waren es bereits 60 Nein-Stimmen aus der Union. Fünf Abgeordnete enthielten sich. Wieder bewahrten die SPD-Stimmen Merkel vor einer Blamage. 

Die aufgeheizte Stimmung unter den Politikern läßt erwarten, daß bei der demnächst anstehenden Abstimmung über das dritte Hilfspaket noch mehr Nein-Stimmen aus der CDU/CSU kommen werden. Der CDU-Abgeordnete Andreas Mattfeldt, der im Haushaltsausschuß sitzt und damit ebenso wie Michelbach von Zwangsversetzungen betroffen wäre, zeigte sich verärgert und erinnerte an das Grundgesetz, nach dessen Regeln Abgeordnete nur ihrem Gewissen verpflichtet seien. „Ich lasse mich nicht einschüchtern, stehe zu meiner Meinung.“ 

Klaus-Peter Willsch (CDU) bekam die Folgen seiner Haltung bereits zu spüren. Der Gegner der Euro-Rettungsschirme saß im Haushaltsausschuß und fand sich nach der Bundestagswahl 2013 plötzlich im weniger wichtigen Wirtschaftsausschuß wieder. Kauders Drohungen nahm Willsch mit Sarkasmus auf: „Das ist doch wenigstens ein ehrliches Wort. Nach der Neuwahl 2013 wurde immer noch behauptet, unser Rausschmiß aus dem Haushaltsausschuß hätte mit unserem Abstimmungsverhalten nichts zu tun.“ Der andere 2013 aus dem Haushaltsausschuß entfernte Politiker, Alexander Funk (CDU), empörte sich, diese Methode solle jetzt offenbar zum Prinzip in der Fraktion werden. Kauders Äußerungen nannte er „erschreckend und beschämend“.  

Druck und Beleidigungen waren schon in der schwarz-gelben Koalition an der Tagesordnung und wurden auch schnell öffentlich. So wurde der Rettungsschirm-Kritiker Frank Schäffler (FDP) vom FDP-Finanzexperten Hermann Otto Solms demonstrativ aus einer Sitzung des Finanzausschusses geholt und vor der Tür zur Rede gestellt. Alle Sitzungsteilnehmer bekamen das mit. Und Bosbach wurde vom damaligen Kanzleramtschef Ronald Pofalla sogar beleidigt: „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen.“ Nachdem Peter Gauweiler (CSU) öffentlich von seinem Parteivorsitzenden Horst Seehofer unter Druck gesetzt worden war, entschloß sich Gauweiler sogar zum Rückzug aus dem Bundestag.  

„Wenn immer alle Nein-Sager ‘entmachtet’ werden, hat die Union bald ein Besetzungsproblem“, amüsierte sich die Abgeordnete Veronika Bellmann. „Das ist eine Drohung, die ich nicht nachvollziehen kann“, erklärte CDU-Wirtschaftsexperte Christian Freiherr von Stetten, der weiter mit Nein stimmen will und damit seine Mitgliedschaft im Finanzausschuß aufs Spiel setzt: „Weder die Systemrelevanz Griechenlands noch die notwendige Schuldentragfähigkeit konnten bis jetzt nachgewiesen werden“, so von Stetten. 

Natürlich wird Merkel diesen ersten großen Aufstand in der Fraktion noch überstehen. Zu gut sind die Umfragewerte für die CDU, zu beliebt ist die Kanzlerin, die bald ihr zehnjähriges Amtsjubiläum feiern kann und damit den Zenit ihrer politischen Laufbahn erreicht haben wird. Aber mit dem Erreichen des Zenits ist untrennbar der Beginn der Abstiegsphase verbunden. Die Zeichen sind da.