© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

Ein Kätzchen mit Tigerstimme
Bayreuther Festspiele: Katharina Wagners Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ würde ihrem Urgroßvater gefallen haben
Sebastian Hennig

Was von der diesjährigen Premiere der Bayreuther Wagner-Festspiele vorab zu vernehmen war, ließ die Erwartungen bestenfalls auf ganz kleiner Flamme köcheln. Ein Treppenhaus als Handlungsort erweckte ungute Erinnerungen an die gleichermaßen hochgelobte wie tieflangweilige „Elektra“-Inszenierung von Ruth Berghaus in Dresden. Deren spitzfindig-verwirrende „Rheingold“-Inszenierung wurde 1979 in Berlin zu Auftakt und Ende eines sprichwörtlichen „Ring der nie gelungen“.

Heute wird ein über Jahre Kräfte bindendes Machwerk wie Rosamunde Gilmores aktueller Leipziger „Ring“ durchgezogen. Dessen völlige Daseinsverfehlung trat gleichfalls am Vorabend im Juni 2013 unübersehbar zutage (JF 24/13), entpuppte sich mit jeder Fortsetzung in Jahresabständen deutlicher und wird dennoch mit Gewalt durchgezogen bis zur „Götterdämmerung“ im Mai nächsten Jahres. Nicht nur diese Inszenierung, auch der „Fliegende Holländer“ von Florentine Klepper in Dresden (JF 27/13) und Aurelia Eggers in Saarbrücken ließ den Opernbesucher und Wagnerfreund langsam zum misogynen Kulturpessimisten werden. Tiefenpsychologisches Gespenstern von Tänzern und Pantomimen verzeichnete dümmlich das Rätsel dieser Stücke. Diese Erlebnisse der vergangenen Jahre waren dazu angetan, den Regisseuren rundweg jede Befähigung abzusprechen, die Komplexität von Wagners Werk szenisch zur Darstellung zu bringen.

Den Liebenden wird der Weg verstellt

Wie erfreulich ist es da, daß Katharina Wagner nach ihren läppischen „Meistersingern“ von 2007 nun ganz wie ein Theater-Routinier, aber dabei gar nicht ohne weibliche Eleganz eine meister(innen)hafte Entsprechung für die dunkle Musik-Narkose des „Tristan“ gefunden hat. Den Kritikern, die sich mit dem Gestell des Treppenwirrwarrs aufgehalten haben, fehlt es weniger an Kunstverständnis als an Welthaltigkeit und Menschenkenntnis. Mit den Stiegen und Rampen passiert nämlich etwas ganz anderes, als es die sinnlose und unsinnliche Treppenläuferei nach Richard Strauss einst darstellte.

Vor allem durch die glückliche Personendramaturgie bekommen die Wege und Sperren ihren Sinn. Es entsteht dadurch zuweilen eine wilde Komik, die auch Wagner gefallen haben würde. Dem Zueinanderstreben der noch unbewußt Liebenden wird der Weg verstellt, und just diese Sperren, die das Treppengewirr zu einem beweglichen Labyrinth werden lassen, entrücken sie nach dem Liebestrank den Verfolgern.

Melodie voller weicher Übergange ohne Brüche

Das langweilig Umstürzlerische des jüngst verblichenen Regietheaters sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß es tatsächlich Details und Requisiten auf der Bühne gibt, die eigentlich nicht mehr gehen. Die Phiole mit dem betörenden Gift halten sie mit beiden ineinandergelegten rechten Händen, erheben sie über ihre Häupter und gießen sie in die zur Schale ineinandergelegten linken Handflächen. Profane Verrichtungen, wie Trinken, wirken auf der Bühne oft lächerlich, abgehobene Symbolik nicht minder. Hier ist eine gute Mitte gefunden worden. Es sieht nach einem gierigen Trunk aus, ohne daß ein alberner Naturalismus die Leidenschaft der Szene erstickt hätte. Nach einer Schonfrist kann auch einmal wieder an Kelchen genippt werden, aber gegenwärtig hat dieses Bild, das Katharina Wagner dafür gefunden hat, eine größere allgemeinverständliche Wirkung im Sinne des Werks.

Das vielstrapazierte und aus dem Zusammenhang gerissene „Macht Neues, Kinder!“ von Katharinas Urgroßvater ist für ihre Inszenierung einmal zutreffend. Ohne sich in ein spekulatives Zeichenlabyrinth zu verlieren, verschiebt sie die Metaphorik des Stückes um wenige Akzente und siehe da, die Liebeswahngeschichte macht durch diese kleinen Verrückungen wieder so verrückt, wie sie ihr Schöpfer gemeint hatte. Wagner sagte über den „Tristan“, nur mittelmäßige Aufführungen könnten dieses Stück retten, tadellose würden das Publikum verrückt machen.

Das Publikum war ohnedies an jenem Freitag im August vor Hitze fast wahnsinnig. Hemdsärmelig saßen die Herren da. Die Damen fuchtelten mit den Fächern neben ihnen. Und Christa Mayer als Brangäne stand während der Vorhaltungen und Beschwichtigungen gegenüber ihrer Herrin das Wasser wirkungsvoll in den Augen. Mag es auch der Schweiß gewesen sein, der ihr von der Stirn in die Augen hinablief; eine so rührende und gerührte treue Magd war selten zu erleben.

Christian Thielemann ist neuerdings der musikalische Direktor der Festspiele. Er verantwortet eine ununterbrochene Melodie voller weicher Übergänge. Aber da wird nichts verlegen verschummert, der Klang ist in seiner Natur organisch ineinander vertrieben, wie die feinen Farbübergänge in einem Gemälde von Leonardo da Vinci. Es gibt keine Brüche und nicht Gewaltsames, und doch ist das Geheimnis des Lebens mächtig und abgründig gegenwärtig in dieser Musik.

Aber alles steht und fällt mit den Sängern. Stephen Gould ist ein Tristan ohne Furcht und Tadel, wenn er auch dem, was Christian Thielemann mit dem Festspielorchester aus dem Graben heraufzaubert, nicht ganz entsprechen kann. Evelyn Herlitzius schnürt als Isolde über das Konglomerat von Rampen und Treppen wie eine Siamkatze und verfügt dabei über die Stimme einer Tigerin.

Es gibt Sänger, die verblüffender Leistungen fähig sind, solange sie stehend vor dem Pult verharren. Auf der Bühne zeigen sie sich dann von der gleichzeitigen Notwendigkeit darstellerischer Leistungen überfordert und schalten die Stimme einfach auf einen durchdringenden Dauerton um, während sie sich auf die Gestik und Körpersprache konzentrieren müssen. Bei Herlitzius entsteht der gegenteilige Eindruck, als würde sie stimmlich so richtig auf Touren kommen, wenn ihr zugleich etwas Bewegung abverlangt wird.

Der Inszenierung ist vor allem anzumerken, daß alle leidenschaftlich miteinander gewirkt haben und nicht nebeneinander oder gar gegeneinander, wie viele Inszenierungen erkennen lassen. Es ist offenbar der Beginn von etwas Neuem. Vielleicht wird das schöpferische Bündnis zwischen dem Musikalischen Direktor und der Urenkelin des Komponisten ebenso fruchtbar wie seinerzeit das von der jung verwitweten Schwiegertochter mit Heinz Tietjen und Wilhelm Furtwängler.

Es gibt viele Ermutigungen zu freudiger Vorahnung auf die künftigen Jahre, daß fortan Rücksicht vor allem auf die künstlerische Notwendigkeit genommen wird. Die mehrfache Umbesetzung der Isolde im Vorfeld deutet darauf hin. Hier gilt’s wohl, endlich wieder, der Kunst.

Die nächsten Vorstellungen von„Tristan und Isolde“ auf dem Grünen Hügel in Bayreuth finden am 18. und 23. August statt. www.bayreuther-festspiele.de

Foto: Königstochter Isolde (Evelyn Herlitzius, r.), ihre Dienerin Brangäne (Christa Mayer) und Tristan (Stephen Gould): Durch die glückliche Personendramaturgie bekommen die Wege und Sperren ihren Sinn