© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

Den moslemischen Massen unbekannt
Scharia und Umweltschutz: Der „Öko-Islam“ als Projekt intellektueller Eliten
Christoph Keller

Von „diffusen Ängsten, Vorurteilen, Fremdheitsgefühlen und Unwissenheit“ sei das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zur Scharia, dem islamischen Recht, bestimmt. Um dem entgegenzuwirken, ist die Erlanger Orientalistin Monika Zbidi bemüht, den Islam als schöpfungsliebende Religion darzustellen, die moderner Expertise und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht ablehnend gegenüberstehe, wenn es gelte, Natur und Umwelt zu schützen (Zeitschrift für Umweltrecht, 6/15). Zumindest enthalte die Scharia eine hinreichende Zahl „umweltbezogener Anordnungen“, in denen es um Jagd, Landwirtschaft, Tierhaltung, Land- und Wasserrecht gehe, und die einen „Öko-Islam“ fundieren könnten.

Mit der Fatwa gegen Brandrodung

Vornehmlich in Europa und in den USA scheinen sich moslemische Intellektuelle auf diese von Koran und Sunna inspirierten schariarechtlichen Umweltinstitutionen zu besinnen. Seit 2005 hätten sich vermehrt Nichtregierungsorganisationen konstituiert, die versuchen, die moslemischen Gesellschaften ökologisch zu sensibilisieren. Internationale Bemühungen, islamische Werte in den Umweltschutz einzubringen, würden in Kooperation mit dem World Wide Fund for Nature (WWF) von der „International Union for Conservation of Natur“ (IUCN) und der in London residierenden „Alliance of Religion and Conservation“ (ARC) vorangetrieben. Dank solcher Einbindung in islamische Netzwerke sei es dem WWF Malaysia gemeinsam mit dem „Institute of Islamic Understanding Malaysia“ 2013 gelungen, in dem ostasiatischen Staat das erste Handbuch herauszubringen, das Umwelt- und Tierschutz allein auf „islamische Prinzipien“ stützt.

Als noch größeren Erfolg wertet Zbidi ein Rechtsgutachten (Fatwa), das, beraten von WWF und ARC, der indonesische Fatwa-Rat im März 2014 veröffentlichte. Die Fatwa spricht sich, vor dem Hintergrund forcierter Abholzung und Brandrodung von Indonesiens Regenwäldern, für den Schutz der im Inselreich akut vom Aussterben bedrohen Tierarten, gegen ihre Bejagung sowie den Handel mit wildlebenden Tieren aus und fordert ein Bildungsprogramm, um der Landbevölkerung zu helfen, den Tierschutz in die Praxis umsetzen zu können. Diese Fatwa, eine der ersten weltweit zum Schutz von Wildtieren, sei laut Zbidi zwar für den säkularen Gesetzgeber in Jakarta unverbindlich, doch immerhin kläre sie Indonesiens zu 88 Prozent moslemische Bevölkerung über die schariarechtlich gerechtfertigte Notwendigkeit des Wildtierschutzes auf.

Eine „Bewußtseinsschaffung“, die schnell in Maßnahmen zugunsten der Biodiversität des Tropenwaldes münden könne: Wie das Beispiel der Korallenriffe von Sansibar zeige, die Lebensraum für Fische und Meeresschildkröten waren, bis die Sprengfischung Ende der neunziger Jahre auch dieses Ökosystem des Indischen Ozeans auszulöschen drohte.

WWF und ARC initiierten jedoch rechtzeitig ein auf dem Islam basierendes Umweltbildungsprogramm für die lokalen Fischergemeinden, so daß diese umdachten und zu nachhaltiger Fischerei zurückkehrten. Ähnlich erfreulich verlief seit 2007 die Wiederbelebung eines Reservats im Süd-Libanon, wo die IUCN eine Dorfgemeinschaft für den Zugvogelschutz begeisterte, indem sie ihr die Vorteile des Öko-Tourismus aufzeigte.

Erfolge ohne westliche Hilfe nicht möglich

Ungeachtet solchen ökologischen Potentials, das Zbidi der Religion des Islam zuschreibt, sind schwerlich Widersprüche und Einschränkungen ihrer anpreisenden Argumentation zu überlesen. Denn einerseits handelt es sich um ein typisches Elitenprojekt vornehmlich im Westen lebender Moslems. Den Massen in den islamischen Ländern sei hingegen ein der Scharia immanentes Umweltrecht „weitgehend unbekannt“. Und die geschilderten punktuellen Erfolge in Indonesien oder auf Sansibar wären ohne WWF-Hilfestellung kaum möglich gewesen.

Wie Zbidi überhaupt einräumen muß, daß derzeit die Umweltgesetze der nationalen Rechtsordnungen islamischer Staaten mehr internationalen  Standards gehorchen als „islamischen Grundvorstellungen“ der Scharia. Wobei die Autorin nicht einmal definiert, worin denn über den vom Christentum wie vom atheistischen Ökopragmatismus gleichermaßen akzeptierten „Schutz der Schöpfung“ hinaus die originären „islamischen Prinzipien“ eines sakralisierten Naturverständnisses bestehen sollen.

Foto: Korallenriff (o.) und traditionelle Fischerei vor Sansibar: Orientalistin Monika Zbidi (r.o.) arbeitet „umweltbezogene Anordnungen“ der Scharia heraus