© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Sehnsucht nach dem Schlagbaum
Sachsen: Angesichts der wachsenden Zahl von Asylbewerbern wird im Freistaat der Ruf nach Grenzkontrollen lauter
Paul Leonhard


Sachsen ist ein Brennpunkt der Flüchtlingswelle. Der Freistaat muß sich auf monatlich 5.000 neue Asylbewerber einstellen. Selbst Ministerpräsident Stanislaw Tillich spricht von „explodierenden Zahlen“. Auf die Prognosen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge verläßt sich der CDU-Politiker schon längst nicht mehr, sondern setzt auf landeseigene Schätzungen. Gleichzeitig steigt die Kriminalität im Umfeld der Flüchtlingslager sowie im Grenzgebiet zu Polen und Tschechien. Obwohl personell ausgedünnt, können die Streifen der Bundespolizei immer wieder Menschenschleusern das Handwerk legen.

Während Tillich in der Sächsischen Zeitung versichert, daß die „schweigende Mehrheit“ der Sachsen den Asylbewerbern „vorurteilsfrei“ begegne, kommen von seiner Integrationsministerin Petra Köpping ganz andere Töne. Die Sozialdemokratin registriert, daß Flüchtlinge zunehmend angefeindet und daß vor Aufnahmestellen protestiert wird. Sie schäme sich, wenn „ich manche verbiesterte Kommentare von Sachsen höre oder lese“, sagte sie der Zeit: „In Sachsen erleben wir teilweise den blanken Haß.“ Es gebe zu viele Stimmen, die Flüchtlinge total ablehnen.

Von Bürgern, die gegenüber Asylsuchenden positiv eingestellt und hilfsbereit sind, berichtet dagegen der Ausländerbeauftragte des Sächsischen Landtages, Geert Mackenroth. Der Christdemokrat hatte zuvor den von 90 überwiegend älteren Menschen bewohnten Ort Rossendorf im Kreis Bautzen besucht, dem 72 Asylsuchende zugeteilt werden sollen. Die Rossendorfer hätten das aus der Zeitung erfahren, berichtete Mackenroth. Das Verhältnis von 90 Ansässigen zu 72 Asylsuchenden sei „schlicht nicht angemessen“, sagte der Ausländerbeauftragte und forderte eine „offene, frühzeitige Kommunikation, basierend auf einem klaren Konzept.“

Machbar ist beides nicht, da der Bund und nicht der Freistaat Herr des Verfahrens ist. In der Staatsregierung weiß man nicht einmal, wie man die abgelehnten und damit ausreisepflichtigen zur Zeit rund 4.500 Asylbewerber los wird. „Wir müssen konsequenter abschieben“, sagt Innenenminister Markus Ulbig und kündigt in der Bild ein Pilotprojekt für 200 Asylbewerber innerhalb einer Erstaufnahmeeinrichtung an. Allein es fehlen dem Innenminister die Kapazitäten dafür: „Aber wir arbeiten daran.“

Auch Tillich mogelt sich an den Realitäten vorbei, wenn er verspricht, zusätzliche Erstaufnahmekapazitäten von der Zustimmung der Bevölkerung abhängig zu machen. Die hat in den seltenen Fällen, in denen sie zuvor tatsächlich angehört wurde, stets dagegen votiert. In Schneeberg, wo nach Protesten der Bevölkerung ein Abbau der Flüchtlingskapazitäten in der ehemaligen Kaserne versprochen worden war, wird jetzt aufgestockt: von 840 auf mehr als 1.100. Das provisorische Flüchtlingszeltlager in Dresden-Friedrichstadt soll mittels Containern in eine Dauereinrichtung umgewandelt werden.

Ob Sachsen, ähnlich wie in Bayern geplant, Sonderunterkünfte für Asylbewerber mit hoher Ablehnungswahrscheinlichkeit einrichtet, ist unklar. Tillich hatte sich erst dafür ausgesprochen, jetzt verlangt er, daß der Bund die Zuständigkeit für die Abschiebung und die Erstaufnahmeeinrichtungen im Freistaat übernimmt. Diese sollen auf Dresden, Leipzig und Chemnitz konzentriert werden.

AfD zweifelt am Vorstoß der CDU 

Sein Generalsekretär, der Görlitzer Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer, sowie der CDU-Innenpolitiker Christian Hartmann fordern derweil eine Aussetzung des SchengenAbkommens, wenn es nicht gelinge, die Außengrenzen besser zu sichern. Sachsen müsse hier über den Bund Druck auf die Europäische Union machen. Die AfD-Fraktion im Landtag kritisierte diesen Vorstoß umgehend als unglaubwürdig. „Die Sachsen-CDU mit Tillich an der Spitze wird diesen mutigen und nötigen Schritt nicht gehen – aus Angst vor Merkel und Schelte aus Brüssel“, sagte AfD-Fraktionschefin Frauke Petry voraus.  

 Der Bundespolizei fehlt unterdessen für Grenzkontrollen längst das Personal, wie der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Ernst Walter, bestätigt, der von einem „Ausnahmezustand an der Grenze“ und „katastrophalen Arbeitsbedingungen“ spricht. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert daher den befristeten Einsatz von Zollbeamten zur Unterstützung der Bundespolizei bei der Migrationsbearbeitung. „Die Vollzugsbeamten des Zolls haben dieselben Befugnisse wie Beamte der Bundespolizei“, erinnert Jörg Radek, Vorsitzender des GdP-Bezirks Bundespolizei.

Den von der Landespolitik mit wenig Nachdruck vorgetragenen, aber umfangreichen Forderungskatalog gegenüber Berlin sieht Ausländerbeauftragter Mackenroth mit Mißtrauen. Nur zu klagen reiche nicht: „Asylpolitik ist Chefsache. Denn es hat sich gezeigt, daß besonders dort, wo die Mandatsträger und die Verwaltungsspitzen sich wegducken, wo sie Probleme auszusitzen versuchen und dazu schweigen, Randgruppen ermutigt und laut werden. Wir müssen vor Ort persönlich an den Menschen dran sein.“