© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

In geregelten Bahnen
Bevölkerungspolitik: Im Windschatten der Asylkrise gewinnt die Debatte über ein Einwanderungsgesetz an Fahrt
Christian Schreiber

Angesichts der immer weiter steigenden Zahlen von Asylbewerbern ist trotz politischer Sommerpause ein erbitterter Streit um den richtigen Kurs in der Zuwanderungspolitik ausgebrochen. Wirtschaftsverbände, Opposition und neuerdings Politiker der Großen Koalition streiten für ein Einwanderungsgesetz. Lediglich der kleinste Koalitionspartner, die CSU, legte von Bayern aus lautstark in Veto ein: „Es findet im Moment ein großes Geschrei um ein Einwanderungsgesetz statt“, sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann: „Ich sehe nicht den geringsten Anlaß für ein solches Gesetz.“ Auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer erteilte Forderungen nach einem neuen Gesetz eine klare Absage: „Ich kann für die CSU verbindlich erklären, ein Einwanderungsgesetz, das zu mehr Einwanderung nach Deutschland führen würde, wird mit der CSU nicht in Frage kommen. Denn alles, was bisher diskutiert wird, hätte eine zusätzliche Einwanderung zur Folge.“ 

Fachkräftemangel als Argument

Passend zur sommerlichen Auseinandersetzung über die Einwanderungspolitik hat die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung eine 55seitige Broschüre vorgelegt, die Befürworter und Gegner eines entsprechenden Gesetzes zu Wort kommen läßt. Darin fordert der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion Stephan Mayer (CSU) das Ende einer Scheindebatte. „Um es klar zu sagen, die jetzige Gesetzeslage ist ausreichend. Deutschland braucht kein neues Gesetz für die Zuwanderung und schon gar kein Einwanderungsgesetz, denn Deutschland hat bereits ein Gesetz, das die Zuwanderung klar regelt. Es ist das Aufenthaltsgesetz und wurde vor zehn Jahren grundlegend durch das sogenannte Zuwanderungsgesetz novelliert.“ An anderer Stelle wird sich kritisch mit dem sogenannten Fachkräftemangel auseinandergesetzt und damit ein Kern der Diskussion angesprochen. „Das Abwerben von Fachkräften führt zu einer Schwächung der Potentiale in den Entwicklungsländern.“ Stattdessen sei es sinnvoller, sich darum zu kümmern, „daß es in Deutschland wieder mehr Nachwuchs“ geben wird.

Vor allem die SPD hatte in den vergangenen Monaten eifrig für eine neue Regelung getrommelt. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann war eigens nach Kanada gereist, um mit dortigen Regierungsvertretern über Vor- und Nachteile des dort praktizierten Punktesystems zu sprechen. Nach Vorstellung der Sozialdemokraten solle es zum Beispiel Punkte  je nach Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnissen geben. Eine Quote könnte definieren, wie viele Zuwanderer genommen werden sollen. Der Bund würde nach diesem Vorschlag den punktbesten Zuwanderungswilligen Arbeitsvisa erteilen, bis die zuvor festgelegte Quote erfüllt ist. Die Aufenthaltserlaubnisse sollten zunächst auf drei Jahre begrenzt werden. Kanada zieht mit diesem Modell jährlich etwa 200.000 Einwanderer an. Zuletzt häuften sich aber Berichte, wonach es auch dort zunehmend Probleme gibt. So sind in Kanada Zuwanderer wesentlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Einheimische.

 Doch die SPD hält an diesen Plänen fest und hat sich zuletzt sogar das Wohlwollen von Bundeskanzlerin Angela Merkel erarbeitet. Aufgrund der steigenden Asylbewerberzahlen geht die SPD nun sogar einen Schritt weiter und unterbreitete einen weiteren Vorschlag, um neue Fachkräfte für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Sie zielt dabei auf abgelehnte Asylbewerber, die aus den unterschiedlichsten Gründen doch nicht abgeschoben werden. Bisher dürfen sie selbst dann von Deutschland aus kein Arbeitsvisum beantragen, wenn sie eine Arbeitsstelle nachweisen können. Die SPD will dies ändern und erhält Unterstützung vom Arbeitgeberverband BDA. Die Organisation forderte generell, Beschränkungen beim Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber abzubauen. Viele davon seien „politisch und wirtschaftlich nicht mehr zeitgemäß“, sagte ein Sprecher der Welt am Sonntag. Die gute Konjunktur biete auch für Flüchtlinge Beschäftigungsperspektiven. Viele Betriebe fänden nicht genug Lehrlinge. Der Verband forderte auch, die Frist für die sogenannte Vorrangprüfung von 15 auf sechs Monate zu verkürzen. Dabei wird festgestellt, ob sich nicht auch ein geeigneter Bewerber mit deutschem oder EU-Paß für die jeweilige Stelle findet. 

In der Großen Koalition herrscht vor allem bei diesem Punkt Uneinigkeit. Vertreter des „modernen Flügels“ der Union wie der stellvertretende Bundesvorsitzende Armin Laschet fürchten, die SPD könnte in den anstehenden Wahlkämpfen mit einem modernen Einwanderungskonzept punkten. Angesichts der Spaltung der AfD sei von „rechts“ keine Gefahr mehr zu fürchten, heißt es aus dessen nordrhein-westfälischem Verband. Im Nachrichtensender n-tv forderte Laschet, daß die Einwanderungsregeln so großzügig sein sollten, daß zum Beispiel mehr Menschen aus den Balkanländern ermutigt werden, in Deutschland auf diesem Wege Arbeit zu suchen: „Dann müßten sie keine Asylanträge mehr stellen, die bei vielen ohnehin aussichtslos sind.“  CSU-Minister Herrmann will da nicht mitmachen. „Da gibt es null Diskussionsbedarf“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk.