© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Grüße aus Bern
Immer schön mit der Ruhe
Frank Liebermann

Eines der vielen Vorurteile, welches die Berner regelmäßig trifft, ist ihre sagenumwobene Langsamkeit. Im gemächlichen Bern braucht es keine Entschleunigung, einen „Slow-up“ oder „Slow-Food“, hier geht es fast immer gemütlich zu. 

Einer der Gründe für diesen Eindruck ist sicher der gemütliche Dialekt. Durch die vielen langgezogenen Vokale und die häufigen „Äähs“ in der Sprache, wirken die „Bärner“ eher behäbig, da sie diese besonders langsam aussprechen. Ebenfalls verlangsamend wirkt der Effekt, daß Konsonanten im Dialekt oft zu Vokalen werden. So wird aus „viel“ im Dialekt „viou“ oder aus „mal“ das schöne „mou“. Das klingt nicht nur gemütlicher, sondern ist auch voluminöser in der Aussprache. Unterstützung erhielt dieser Eindruck auch schon von wissenschaftlicher Seite. So hat ein Sprachforscher festgestellt, daß die Berner durchschnittlich fünf Silben in der Sekunde sprechen, während es der Rest der Schweiz auf sechs bringt. Klingt wenig, ist aber viel. Pro Minute sprechen Berner damit circa vier bis fünf Sätze weniger als der Rest. Wobei das natürlich kein Nachteil sein muß! 

Gerne verweigern sich die Berner Trends, 

die zu einer unnötigen Beschleunigung führen.

Aber auch beim Gehen in der Stadt nehmen die Berner in puncto Gemütlichkeit einen Spitzenplatz ein, sogar international, was andere Forscher herausgefunden haben. In Städten wie Singapur beträgt die Schrittgeschwindigkeit über sechs Stundenkilometer, während die Berner nur etwas unter vier Stundenkilometer schaffen. Langsamer gehen die Menschen angeblich nur in Malawi. Aber da ist es ja auch wärmer. Schneller als die Berner sind übrigens die Zürcher, aber die sind in Bern ja auch so beliebt wie Düsseldorfer in Köln. Und wenn man einmal Personen hektisch durch die ruhige Stadt rennen sieht, dann sind es meistens Ausländer oder Zürcher, was ja irgendwie dasselbe ist. 

Gern verweigern sich auch die Berner gesellschaftlichen Trends, die zu einer unnötigen Beschleunigung führen sollen. So standen bis vor kurzem die Bahnhofsbesucher rechts und links auf den Rolltreppen, anders als in fast allen anderen Städten auf der Welt. Das Prinzip „Rechts stehen – links gehen“ hatte keine Chance, niemand wurstelte sich auf den engen Treppen an einem hektisch vorbei. Das hat sich inzwischen geändert. An den Bahnhöfen sind Hinweisschilder mit den neuen Regeln angebracht. Allerdings halten sich viele Berner nicht daran. Auch hier geht es mit der Umsetzung halt etwas langsamer.