© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Die Wüste wächst
Filmischer Essay: Bastian Günthers Doku-Drama „California City“ gewinnt dem Zusammenbruch großartige Bilder ab
Sebastian Hennig

Es ist unnötige Bescheidenheit und Vorsicht, wenn Bastian Günther seinen dritten Langfilm „California City“ als Hybridfilm bezeichnet. Gerade reine Dokumentarfilme sind immer hybrid im doppelten Sinne. In die vermeintlich unkommentierte abgefilmte Wirklichkeit mischt sich stets die Perspektive des Autors. Und je stärker der verkündet, sich zurückzunehmen, um so unverstellter tritt seine Hybris hervor. Er gibt sich als Einfallstor zur objektiven Wahrheit, während er zumeist nur ein Tor ohne Einfälle ist.

Günthers „California City“ hat vor allem mit dem Film „Zabriskie Point“ von Michaelangelo Antonioni einiges gemeinsam. Hier wie dort geht es um die Vereinigten Staaten von Amerika. Ebenso ungerührt und fasziniert blicken beide auf eine verendende Tatsache. Die Wüste ist ihr Thema. Sie wird nicht zur befrachteten Metapher, weil beide Filme nichts anderes tun, als ihr mittels luzider Fotografie einfach beim Wachsen zuzuschauen. Und die Wüste hat längst von den Menschen Besitz ergriffen. Oder ist die Wüste die ursprüngliche Handschrift, mit der der Mensch von der Welt Besitz ergreift? Wem nichts Göttliches aus der Verstoßung aus dem großen Garten geblieben ist, der verkennt das Potential der Welt als eines Gartens, der allein um der Menschen willen behutsamer Hege bedarf.

„California City, Land of the sun“ steht auf der riesigen Werbetafel, neben der Jay Lewis lehnt. Sein Telefon klingelt und er bereitet sich auf einen Einsatz vor. Er ist beauftragt, der Übernahme durch die Moskitos vorzubeugen, und spritzt Gift in einige Lachen, die in verödeten Pools vor sich hin sumpfen. Lewis ist der einzige gelernte Schauspieler des Films. Die anderen Figuren sind reale Personen, die in ihrem gewohnten Umfeld agieren. Die künstliche Metropole „California City“ wurde schon in den sechziger Jahren geplant und mit der Immobilienblase noch einmal riesig aufgepumpt, bevor sie dann platzte und in sich zusammenfiel.

Auf seinen durch elektrische Navigation geleiteten Einsätzen begegnet der Hauptcharakter des Films beispielsweise dem Makler Dan, der hier selbst Haus und Familie verloren hat. Der Schrottsammler Bird rackert sich wie ein Holzfäller mit der Axt an einem Autowrack ab. Er will nicht mehr in die Stadt, wo er ohnedies bald im Gefängnis landen würde. Das Scheitern der Gesellschaft bietet ihm Raum zu einem gelingenden Leben. Vor den Militärposten muß er sich in acht nehmen. Die sichern das Gelände mehr schlecht als recht. Unweit türmen sich die Container mit aufgemalten Scheinfenstern. Die dienen als Ziel für militärische Übungen, in denen Sprengkraft und Hochtechnologie gegen Fellachendörfer getestet wird.

„California City“ ist ein Film voller vergifteter Melancholie. Die Hauptfigur ist typisch für den zivilisierten Neurotiker. Er will allein sein, aber nicht einsam. Dem sentimentalen Rückblick dienen Super-8-Sequenzen mit seiner Frau Chelsea. Die hat ihn die erste Zeit noch auf seinen tristen Expeditionen begleitet. Doch die Frauen lassen von den versinkenden Männern, in denen die Wüste wächst. Die übelste Gesellschaft findet er im Wirbelbecken eines Motels. Ihm gegenüber hängt da ein verkommener Hobbyprediger am Beckenrand. Die Apokalypse, von der er redet, ist bei ihm schon eingetreten. Dieser Typ mit Zahnlücken und Goldkette schwafelt im künstlich verwirbelten lauen Wasser über den Propheten Jona.

Auf dem Flugzeugfriedhof posiert ein Karibe für eine Freundin für einen Bewerbungsfilm für eine Reise zum Mars. Eine Rückkehr ist nicht vorgesehen. Wahrscheinlich muß sich der Mensch instinktiv immer in schlimmere Ödnis phantasieren, damit das Unerträgliche an der Gegenwart hingenommen wird. Das ist Opium für das Volk, entweder die dunkle Seite der Planeten oder die Finsternis der eigenen Geschichte. Das enthebt jeder Verantwortung für den Umgang mit der eigenen Leiblichkeit, vom Geist gleich ganz zu schweigen. In der Weiterfahrt erstreckt sich vor der Frontscheibe die Asphaltstraße wie eine Startbahn ins Nirwana. 

Der scheue Asketenkopf von Bird taucht im Auto neben dem Fahrer vor der Nicht-Landschaft von California City auf. Nachdem der Insektenjäger immer wieder vom automatisierten Dispatcher zu falschen Orten entsandt wird, stellt er zuletzt die unsinnige Tätigkeit ein. Schon der vorige Film Bastian Günthers, „Houston“ (JF 50/13), hatte die Auflösung der Persönlichkeit zum Inhalt. Eigensinnige Regisseur-Handschriften erkennt man an wiederkehrenden Formeln. In „Houston“ kommt dem völlig verwahrlosten Clemens Trunschka (Ulrich Tukur) bei der Einfahrt in das morgendlich gleißende Houston eine Parade von bizarr geschmückten Automobilen entgegen. In „California City“ kommt über die hitzeflirrende Ebene eine schwerbewaffnete Armee von Freaks angeprescht. Dieser Film ist voll willkürfreier Schönheit.