© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

„Wir sind immer noch da“
Buchhandel: Wie ein kleiner Laden der Konkurrenz aus großen Konzernen und dem Internet die Stirn bietet
Elena Hickman

Ein älterer Mann mit roter Mütze, grauer Weste und blauem Hemd betritt den Laden und steuert zielstrebig die Verkäuferin an. „Ich möchte gerne diese Bücher hier bestellen“, sagt der Mann, der aussieht wie der lustige Großvater von nebenan, und reicht der Frau ein Blatt Papier. „Ich mach mir schnell eine Kopie davon“, nickend wendet sie sich ab und erscheint kurze Zeit später wieder mit beiden Blättern. „Sollen wir Sie anrufen, wenn die Bücher gekommen sind?“ erkundigt sich die Verkäuferin. „Ja, aber auf dem Festnetz“, bittet der etwa 80jährige, „ich bin doch kein Handy-Experte.“

Der Mann ist einer von vielen Menschen, die täglich den Bücherladen in Berlin-Tegel besuchen. Das Geschäft liegt zentral zwischen U- und S-Bahnstation, in einer belebten Straße direkt gegenüber einer Postfiliale. Häufig kommen Kunden mit dem Fahrrad, tragen Alnatura-Taschen oder Burton-Rucksäcke, wollen Bücher bestellen oder welche abholen. Und natürlich kommen auch manche in den Laden, um „einfach mal zu stöbern“, wie eine Kundin der hilfsbereiten Verkäuferin abwinkt.

Es ist ein kleiner Laden, der den großen Ketten wie Thalia oder Hugendubel trotzt und dem Onlinehandel die Stirn bietet. Während immer mehr Buchläden in aussterbenden Einkaufspassagen ihre Türen schließen, ist die Tegeler Bücherstube seit 68 Jahren geöffnet – und wird sich so schnell auch nicht vertreiben lassen.

Onlinehandel hat stark zugenommen

Sie wird von Christiane Schulz-Rother geleitet, einer 47jährigen mit blonden Haaren und freundlichem Lächeln. Für sie ist der Bücherladen mehr als nur ein Arbeitsplatz, denn ihre Tante hat 1947 das Geschäft gegründet. „Ich hab während meiner Schulzeit hier immer schon ein bißchen ausgeholfen“, erzählt sie. Nach ihrem Abitur hat sie im Laden die Lehre zur Buchhändlerin gemacht und wollte eigentlich in Frankfurt noch ein Zusatzstudium machen. Aber dann kam alles anders. Ihre Tante erlitt einen Schlaganfall, und mit nur 22 Jahren übernahm Schulz-Rother die Filiale. „Das war schon eine Herausforderung, aber irgendwie hab ich mich durchgeboxt“, sagt sie mit einem Lächeln und versichert sofort danach: „Aber meine Kollegen haben mir auch alle super geholfen.“ Besonders Heike Steinhäuser, ihre „rechte Hand“, die schon Mitarbeiterin der Tante gewesen ist. Sogar die Vertreter hätten sie beim Einkauf unterstützt – bis auf einen, von dem sie am Anfang etwas ausgenutzt wurde. „Es ist eine kleine Branche“, erklärt die Chefin, „ein gewisses Vertrauensverhältnis ist da schon vorhanden.“

Die Bücherbranche ist tatsächlich mit 3.204 eingetragenen Mitgliedsbuchhandlungen (2014) deutschlandweit recht überschaubar. Aber nach der Wende schossen überall in Berlin große Einkaufszentren aus dem Boden und mit ihnen Ketten wie Hugendubel oder Thalia. „Da hab ich gedacht, na, ob das jetzt gutgeht, neben so einer großen Thalia-Kette“, erinnert sich Schulz-Rother, als nur ein paar Straßen weiter eine Filiale eröffnete. Aber die „war irgendwie zuviel des Guten und wurde geschlossen“. Man brauche eben keine 3.000 Quadratmeter Buchhandlung, oder jedenfalls nicht überall. An vielen Stellen würden inzwischen große Filialen geschlossen werden. Hugendubel gab Premiumlagen wie am Tauentzien und am Potsdamer Platz auf, und in die neue Mall of Berlin am Leipziger Platz sei überhaupt erst keine Buchhandlung gezogen. Die hohen Mieten dort könnten mit Büchern dann doch nicht erwirtschaftet werden.

Allerdings hat es nicht nur gute Seiten, wenn die Konkurrenz schwächelt. „Wenn das Buch irgendwann aus dem Stadtbild verschwindet, dann kaufen die Kunden eben andere Geschenke“, erklärt die Buchhändlerin, „oder sie kaufen im Internet“.

Der Onlinehandel hat in den letzten Jahren stark zugenommen, gerade auch durch den Giganten Amazon und das Geschäft mit E-Books. 2010 lag der Umsatz mit E-Books und digitalen Hörbüchern laut Marktforschungsinstitut GfK noch bei knapp 21 Millionen Euro. Aber schon drei Jahre später konnten Umsätze in Höhe von etwa 200 Millionen Euro erwirtschaftet werden.

Diese Veränderung macht sich natürlich auch in der Tegeler Buchhandlung bemerkbar. Allerdings hätten sie noch Glück gehabt, sagt Schulz-Rother: „Dadurch, daß wir eine Kiez-Buchhandlung sind, mit Schwerpunkt Belletristik und Kinderbüchern, haben wir es längst nicht so stark gemerkt.“ Am schlimmsten seien die Fachbuchhandlungen betroffen, gerade auch durch die veränderten Studienverhältnisse. Bachelor-Studiengänge bräuchten gar nicht mehr so viele Bücher, Professoren verteilten eher Skripte, und viele Studenten würden gebrauchte Bücher Online kaufen.

Die Händlerin steht dem Onlinehandel nicht grundsätzlich negativ gegenüber. Aber wenn jemand beispielsweise ein Fachbuch im Internet bestellen möchte, dann „hoffe ich, daß er das über meine Homepage bestellt und nicht bei Amazon“.

Gerade auch durch die schlechte Berichterstattung über Amazon sei wieder ein stärkeres Bewußtsein entstanden, etwas mehr für den Handel vor Ort zu tun. „Es ist ein kleines Rückbesinnen passiert“, freut sich Schulz-Rother, „Kunden sind diese leeren Einkaufsstraßen inzwischen satt.“ Das sähe ja auch ganz gruselig aus.

Schmökerabend für Kinder und Jugendliche

Außerdem fänden Kunden bei ihr häufig Bücher schneller als im Netz. Beispielsweise der hochgewachsene, ordentlich gekleidete Kunde, der an einen alten Lehrer erinnert und „ein kleines Buch mit Sprüchen und Zitaten für eine ältere Dame zum Verschenken“ sucht. „So etwas kann ein Kunde im Netz natürlich auch finden“, sagt die Buchhändlerin, „aber dann sitzt er ja auch ewig davor.“ Der gut angezogene Mann konnte den Laden nach fünf Minuten wieder zufrieden verlassen.

Manche Bücher würden Kunden allerdings nicht gern in einer kleinen Bücherstube kaufen, sagt Schulz-Rother. Der Bestseller „Shades of Grey“ sei beispielsweise kaum bei ihr über die Theke gewandert. Ihre Kunden hätten diesen Titel sicher auch gekauft, aber „dann doch woanders – also in den großen Buchhandlungen“.

Manchmal ist die Anonymität einer unpersönlichen Buchhandlung oder des Internets ein Vorteil. Jedoch punktet die Tegeler Bücherstube mit Leistungen, die keine große Kette, kein Online-Gigant bieten kann: fundierte Beratung und Nähe zu den Kunden.

Die Mitarbeiter nehmen sich für jeden Zeit und fertigen Interessenten nicht einfach ab. „Nicht jedes Buch ist für jeden interessant“, sagt die Mitarbeiterin Maike Schöngart, „man muß schon fragen, für wen das Buch bestimmt ist und was die Person sonst so liest.“ Die junge Frau weiß, was für Bücher sie ihren Kunden empfiehlt, denn viele hat sie selbst gelesen. Als Buchhändler habe sie mehrere Lieblingsbücher, gesteht sie, „die will man dann ja auch weitergeben“.

Auf den Tischen im Laden liegen viele Bücher, an die bunte Papierstreifen geheftet sind – persönliche Empfehlungen der Mitarbeiter. Und nicht nur Mitarbeiter empfehlen hier Bücher. Im „Leseclub“ dürfen Kinder und Jugendliche ab sieben Jahren Neuerscheinungen und Leseexemplare von Verlagen ausleihen – mit der Bedingung, über das jeweilige Buch anschließend eine Buchbesprechung zu schreiben.

Kinder sind in der Bücherstube sowieso gern gesehen. Zu Ferienbeginn trafen sich dort 22 Kinder zum „Schmökerabend“. Ausgestattet mit Decken, Kissen und Süßigkeiten, konnten sie bis spät in die Nacht lesen und neue Bücher entdecken. „Als ich gesehen hab, wie die hier auf dem Boden sitzen“, erinnert sich Schulz-Rother, „das war auf alle Fälle so ein Moment, für den ich das hier alles mache.“ Aber auch für die Erwachsenen gibt es regelmäßig Veranstaltungen, wie etwa Buchvorstellungen mit dem Autor.

Die Tegeler Bücherstube hat etwa 65 bis 70 Prozent Stammkunden, der Rest besteht aus Laufkundschaft. Das läge natürlich auch am Bezirk, erklärt die Händlerin. Nach Tegel kämen eben nicht so viele Touristen. „Wir sind schon so lange vor Ort, daß die meisten Stammkunden sind.“

„Ich denke immer, wenn meine Tante noch leben würde“, sagt Schulz-Rother, „sie hätte bestimmt nie gedacht, daß wir immer noch da sein würden.“ Selbst ihr Vater habe sie gefragt, warum sie eine Buchhändlerlehre machen wolle – das habe doch keine Zukunft. Vom Beginn der großen Ketten bis hin zum Onlinehandel und Amazon-Riesen, die Lage für Buchverkäufer hat sich im Laufe der Jahre nicht gerade verbessert. „Vor fünf Jahren hat man uns alle für tot erklärt“, erzählt die Chefin. „Aber wir überleben noch“, sagt sie mit Stolz in der Stimme und einem Lächeln auf dem Gesicht, „wir sind noch da!“

Und nicht nur in Tegel, denn inzwischen leitet Schulz-Rother neben dem Geschäft dort noch zwei weitere Buchläden mit insgesamt elf Mitarbeitern: die Glienicker Bücherstube in Frohnau und die Buchhandlung Menger am Tempelhofer Damm.

Mit den Jahren sei die Kundschaft im Buchladen etwas weniger geworden. „Aber wenn dann welche sagen, ich hab schon meine Schulbücher bei Ihrer Tante bestellt – das finde ich so toll“, verrät die Händlerin. „Wir sind eben wirklich die Buchhandlung vor Ort.“





Buchhandel

Die Zahl der Buchhandlungen geht zurück. Der Onlinehandel fordert den stationären Buchhandel immer mehr heraus. 2014 verschwanden etwa 38.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, knapp 150 Filialen wurden geschlossen. Allerdings ist die Marktstruktur weitgehend stabil geblieben. Rund zehn Prozent der Buchhandlungen erwirtschaften über zwei Drittel des Umsatzes. Dabei sind etwa 90 Prozent kleinere, unabhängige Buchläden. 

Tendenziell ist der Umsatz im stationären Buchhandel zurückgegangen, der Online-Umsatz gestiegen. Nur in den letzten beiden Jahren hat sich das Bild leicht verändert. 2013 wurde im stationären Buchhandel 0,9 Prozent mehr Umsatz gemacht, als im Vorjahr, während der Online-Umsatz um 0,5 Prozent sank.  2014 war insgesamt ein schlechtes Jahr für den Buchmarkt: Jedoch stand der Sortimentsbuchhandel mit minus 1,2 Prozent besser da als der Onlinehandel mit minus 3,1 Prozent.  

Foto: Buchhändlerin Christiane Schulz-Rother in ihrem Geschäft in Berlin-Tegel: Die Mitarbeiter nehmen sich für jeden Kunden Zeit