© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Neue Länder, alte Vorlagen
Tradition als Bezug: Bis zum 3. Oktober 1990 wurden aus den DDR-Bezirken wieder Bundesländer
Detlef Kühn

Vor 25 Jahren haben sich in der untergehenden DDR die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern konstituiert, die seitdem oft als „neue“ Bundesländer bezeichnet werden, obwohl sie so neu eigentlich gar nicht waren. Richtig war nur, daß  diese Territorien 1949 bei der Etablierung der Bundesrepublik Deutschland keine Chance hatten, sich dieser Föderation anzuschließen, sondern wenige Wochen später in der DDR zusammengefaßt wurden. 

Das  alles geschah unter Aufsicht und maßgeblicher Mitwirkung der Besatzungsmächte, die ihre durchaus unterschiedlichen Interessen dabei nie vergaßen. So verhinderte Frankreich zum Beispiel, daß das Saargebiet, keine historisch gewachsene Provinz, aber mit Bergbau und Schwerindustrie wirtschaftlich wichtig, der neugegründeten Bundesrepublik Deutschland angehören sollte. Den Versuch hatte es bereits nach dem Ersten Weltkrieg in Versailles 1919 unternommen, war aber bei der Volksabstimmung 1935 eindrucksvoll gescheitert. Nun wurde der Versuch wiederholt und scheiterte erneut, aber erst mit der Volksabstimmung von 1957.

Das Bild Deutschlands in der Geschichte war stets durch föderale Strukturen bestimmt gewesen, die auch nach der Reichsgründung 1871 und bis zur Weimarer Republik Bestand hatten. Erst das Dritte Reich machte Deutschland für wenige Jahre zu einem Zentralstaat, dessen politische Gaue praktisch auf den Status französischer Departements zurückgestutzt waren. 1945 waren sich die Siegermächte darin einig, diesen Zentralstaat auf jeden Fall wieder zu beseitigen – amputiert und so kleinteilig wie möglich. 

Der sowjetische Diktator Stalin, dem die Westmächte bereits ganz Ostmitteleuropa überlassen hatten, war in dieser Frage relativ entspannt. Er wollte Rest-Deutschland, nach der Abtrennung der Ostprovinzen, sowieso seiner Herrschaft unterwerfen – in welcher territorialen Gliederung war ihm ziemlich gleichgültig. Deshalb ließ er überall in der Sowjetzone zur Beruhigung der Deutschen plakatieren: „Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk, der deutsche Staat bleiben.“ Zugleich befahl er, vier deutsche Parteien zu gründen: Neben der KPD die SPD, sowie für die Christen die CDUD und für die Bürgerlichen die LDPD. 

Ganze DDR sollte zu einem  Bundesland formiert werden

Vor allem ordnete er für seine Besatzungszone fünf Länderverwaltungen an – im Norden Mecklenburg, dem auch das westlich der Oder und des 1945 von Polen okkupierten Stettiner Gebiets verbliebene Pommern zugeschlagen wurde, südlich angrenzend Brandenburg als Kernland Preußens, aber ohne die Neumark, die ebenso wie Hinterpommern Polen „zur Verwaltung“ überlassen wurde. In Thüringen, wo bis zur Abschaffung der Monarchien nach dem Ersten Weltkrieg eine kuriose Kleinstaaterei existiert hatte, wurde der Freistaat aus der Weimarer Republik wiederbelebt. Sachsen, dem der westliche Zipfel Niederschlesiens angeschlossen wurde, und Sachsen-Anhalt übernahmen den Rest.

An dieser föderalen Gliederung der Sowjetischen Besatzungszone hatten weder Stalin noch seine deutschen  Helfer viel Freude. Trotz Zwangsfusion von KPD und SPD zur SED hatten die Kommunisten Probleme, bei Landtags- und Kommunalwahlen zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen. Das Anknüpfen an die Stammesgeschichte der Sachsen, Brandenburger und Mecklenburger stärkte nicht die Liebe zur DDR.  So beschloß Walter Ulbricht 1952 im Zuge des Aufbaus des Sozialismus die  Zerschlagung der bisherigen Föderalstruktur und ihre Ersetzung durch einen Einheitsstaat, der ziemlich willkürlich in 15 Bezirke (und Ost-Berlin als „Hauptstadt der DDR“) gegliedert wurde. Diese Einteilung „bewährte“ sich aus Sicht der SED-Führung offenbar bis 1989.

Als die friedliche Revolution der  Deutschen in der DDR das kommunistische System mit der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 zum Einsturz brachte, trat die möglichst schnelle Wiedervereinigung in den Mittelpunkt des Interesses. Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes bot sich als einfachste Lösung an. Die Frage war nur: Sollte  die DDR als Ganzes mit ihrer bisherigen Einteilung in Bezirke beitreten? Manche plädierten für diese Lösung mit der Begründung, im Konzert der Bundesländer könne sich ein neues Bundesland mit der Größe und Bevölkerungsstärke etwa des Landes Nordrhein-Westfalen leichter Gehör verschaffen. Das klang scheinbar plausibel, fand aber in der Volkskammer keine Mehrheit. Am 22. Juli 1990 beschloß sie per Gesetz die Einführung von Bundesländern.

Es bot sich an, dabei an die Strukturen der Länder in SBZ und früher DDR anzuknüpfen, wobei vor allem zwischen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg einige nicht ganz unwichtige Grenzverschiebungen vorgenommen wurden. Lediglich in der Frage der Landeshauptstädte gab es anfänglich unterschiedliche Ansätze, besonders in Sachsen-Anhalt. Dort war nach 1945 das im Vergleich zu Magdeburg relativ unzerstörte Halle zur Landeshauptstadt bestimmt worden, 1990 konnte sich Magdeburg als neue Landeshauptstadt erst in einer knappen Abstimmung im ersten Landtag gegen die Saalestadt durchsetzen. 

Rückgriff auf traditionelle Wurzeln hat sich bewährt

Ähnlich war der Streit in Mecklenburg-Vorpommern, wo sich die alte Residenzstadt Schwerin gegen Rostock als lange favorisierte Landeshauptstadt durchsetzen konnte. Allerdings schuf hier der zum Landesbevollmächtigten ernannte CDU-Politiker Martin Brick bereits dadurch Fakten, indem er die konstituierende Sitzung nach Schwerin berief. Dort beeindruckte die Aura des notdürftig hergerichteten Schlosses die Abgeordneten derart, daß sie am 27. Oktober für Schwerin als neue Landeshauptstadt stimmten.

Die förmliche Konstitution der „neuen“ Bundesländer, die ursprünglich für den 14. Oktober 1990 vorgesehen war, wurde durch den Einigungsvertrag auf den Tag der Wiedervereinigung, den 3. Oktober, vorgezogen. Die Rückgabe des Amts Neuhaus auf der rechten Seite der Elbe von Mecklenburg-Vorpommern an Niedersachsen als Rechtsnachfolger der preußischen Provinz Hannover erfolgte erst 1993.

Aus heutiger Sich scheint sich die Entscheidung für  eine Wiederbelebung stammesgeschichtlich begründeter Verwaltungsstrukturen als glücklich zu erweisen. Sie hat der Bevölkerung das Einleben in der Bundesrepublik emotional sicherlich erleichtert.

Foto: Ein Volkskammerabgeordneter betrachtet Ende Juli 1990 eine Karte mit den geplanten Grenzen der neuen Bundesländer: Föderale Gliederung statt zentralstaatliche Organisation wie in der DDR