© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Die Revolution erschlägt ihre Kinder
Vor 75 Jahren wurde Leo Trotzki, der bolschewistische Revolutionär und Weggefährte Lenins, im mexikanischen Exil ermordet
Wolfgang Kaufmann

Lew Dawidowitsch Bronstein alias Leo Trotzki (sein Pseudonym seit 1902) war ein eiskalter Machtmensch und gnadenloser Massenmörder, an dessen Händen das Blut von Hunderttausenden klebte: Nachdem die Bolschewiki ihn im März 1918 zum Volkskommissar für das Kriegswesen ernannt hatten, agierte er mit äußerster Härte gegen alle tatsächlichen und vermeintlichen Feinde der Sowjetmacht. In diesem Zusammenhang befahl Trotzki auch den Einmarsch in Polen und die gewaltsame Besetzung Aserbaidschans, Armeniens und Georgiens. Ebenso sorgte er 1921 für die Niederschlagung des Aufstands der Kronstädter Matrosen und diverser Bauernrevolten in der Ukraine. Parallel hierzu gerierte sich Trotzki nach Lenins Tod als Gralshüter der unverfälschten Lehre des Marxismus-Leninismus. Daraus resultierte ein Konflikt mit Stalin, der schließlich in der Kaltstellung und Ausbürgerung Trotzkis sowie der flächendeckenden Liquidierung von dessen Anhängerschaft mündete.

Trotzki überlebte das erste Maschinenpistolen-Attentat

Hierbei hätte es der Diktator im Kreml dann bewenden lassen können – wenn sein Widersacher nicht darauf verfallen wäre, neben fortwährender publizistischer Agitation gegen Stalin, die sogar in führenden amerikanischen Zeitungen abgedruckt wurde, 1936 die Sowjetbürger zu einer Revolution gegen den „bürokratisch degenerierten“ UdSSR-Staat und zur Wiederherstellung der Räteherrschaft aufzurufen. Dies veranlaßte Stalin schließlich im März 1939, die Liquidierung Trotzkis anzuordnen. Daraufhin entwarf Pawel Sudoplatow, der stellvertretende Direktor der Auslandsabteilung des Geheimdienstes NKWD, den Plan zur „Operation Utka (Ente)“, welcher dann im August von oberster Stelle abgesegnet wurde. Er sah vor, Trotzki durch ein Killerkommando unter der Leitung des mexikanischen Kommunisten David Alfaro Siqueiros ermorden zu lassen, denn die „Zielperson“ lebte seit 1937 in dem mittelamerikanischen Staat, wo sie bei dem prominenten Künstlerehepaar Frida Kahlo-Diego Rivera untergekommen war.

Allerdings scheiterte der Anschlag, der in den Morgenstunden des 24. Mai 1940 stattfand, auf ganzer Linie: Obwohl zwei Dutzend Gefolgsleute von Siqueiros das Anwesen zehn Minuten lang mit Maschinenpistolen beschossen, kam keiner der Bewohner zu Schaden – Trotzki überlebte, indem er unter seinem Bett Schutz suchte. Anschließend erfolgte eine erhebliche Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen, so daß der NKWD nun einen Plan B benötigte. 

Damit schlug die Stunde von Jaime Ramón Mercader del Rio, dem Sohn der fanatischen spanischen Kommunistin und Sowjetagentin Eustacia Maria Caridad del Rio Hernández. Dieser war von Naum Eitington alias Leonid Naumow rekrutiert worden, welcher als NKWD-Resident in Paris fungierte und ein Verhältnis mit dessen Mutter hatte. Mercader, der unter den Decknamen Jacques Mornard und Frank Jacson auftrat, sollte den Stalin-Gegner in einem günstigen Moment im Alleingang ermorden. Hierzu erschlich er sich das Vertrauen von Trotzkis Sekretärin Sylvia Ageloff, die ihn schließlich auch in das streng abgeschottete Anwesen in der Calle Viena im Süden Mexico Citys einführte. Dort hatte Mercader mehrmals Kontakt mit seinem potentiellen Opfer, bevor es dann am 20. August 1940 zum finalen Zusammentreffen der beiden kam.

Stalin ehrte Mörder als Held der Sowjetunion 

Diesmal suchte Mercader Trotzki gegen 17 Uhr in dessen Arbeitszimmer auf, um ihm einen selbstgeschriebenen Artikel zu zeigen. Derweil warteten del Rio Hernandez und Eitington draußen im Wagen. Um die Wachen nicht zu alarmieren, benutzte der Attentäter keine Schußwaffe, sondern schlug dem Lesenden mehrmals mit einem Eispickel auf den Kopf. An den hierdurch hervorgerufenen Verletzungen starb Trotzki jedoch erst am Folgetag – zuvor konnte er noch Alarm schlagen, was zu Mercaders Verhaftung und einer späteren Verurteilung zu zwanzig Jahren Gefängnis führte.

Stalin wiederum dekorierte den Mörder mit dem Stern eines Helden der Sowjetunion, wobei er in diesem Moment bestimmt nicht realisierte, welch großen Dienst Mercader den linken Träumern in aller Welt erwiesen hatte: Dadurch, daß er Trotzki den Märtyrertod bescherte, konnte man den Erschlagenen nachfolgend zur Ikone eines „reinen“ und „wahren“ Kommunismus stilisieren, dessen Zeit erst noch kommen werde.