© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Urahnen der Spargel
Als Windkraftanlagen noch die Landschaft schmückten: die Betriebsstätten der Müller wecken noch immer Sympathie
Bernd Rademacher

Die historischen Vorläufer der Windkraftwerke lieferten keinen teuren Strom, sondern mechanische Kräfte für vielfältigste Arbeitsschritte, vor allem aber zum Kornmahlen: Die Windmühlen waren die einzig verfügbaren Großmaschinen vor Erfindung der Dampfmaschinen.

Ab dem frühen Mittelalter verbreiteten sich Windmühlen von Spanien bis Rußland. Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges waren die markanten Konstruktionen in ganz Europa zu finden. Natürlich dort, wo Wind bläst: in Küstennähe, in Tiefebenen, auf Gebirgskämmen.

Mit der Kraft des Windes ließen sich Sägen, Schmiedehämmer, Wasserpumpen, Treibriemen und vieles mehr bewegen. Dreschen, Häckseln, Spinnen, Schleifen – über hundert Arbeitsprozesse erleichterte die Windmühle. Doch hauptsächlich mahlten die Müller Getreide. Anerkennung fanden sie dafür wenig: Müller hatten keine geregelten Arbeitszeiten, dafür mahlten sie, wenn Wind aufkam, auch nachts oder am heiligen Sonntag. Das machte sie in den Augen frommer Dörfler verdächtig und anrüchig.

Mühlensterben durch        industriefreundliches Gesetz

Dabei war der Beruf kein leichter und auch nicht ungefährlich: Die Sprossen der Flügel zu erklettern, um die Segeltuchbespannung anzubringen, ist bei bis zu zwanzig Metern Nabenhöhe eine waghalsige Aufgabe. Stürmte der Wind zu heftig, mußten die Segel schnell eingeholt werden, um einen Brand in Folge Überdrehens der Rotorachse zu verhindern. Oft genug war es schon zu spät.

Dennoch nahm die Zahl der Mühlen stetig zu, vor allem als in Preußen die Gewerbefreiheit erlassen wurde und der Wettbewerb zu technischen Verbesserungen führte. In Deutschland hatte sich zu der Zeit die Bockwindmühle als Standardtyp etabliert. Dabei ruht das drehbare Gebäude auf einem Bock, so daß die gesamte Mühle in den Wind gedreht werden kann. In Holland dagegen waren Mühlen üblich, bei denen nur die Dachhaube drehbar ist. Die Spanier setzten auf Turmwindmühlen mit Kegeldach – gegen die Don Quichotte einst kämpfte ...

Durch die modulare Holzbauweise ließ sich eine Windmühle komplett zerlegen und woanders neu aufbauen, wenn sich der Standort ungünstig entwickelte. Müller waren demnach die ersten Unternehmer, die „mobil und flexibel“ waren. Durch die Stellung der Flügel konnten die Müller außerdem ihre Servicezeiten kommunizieren: Flügel in X-Stellung bedeutete „Für heute Feierabend“. Der Kunde, der dieses Signal schon von weitem sah, brauchte seine Kornsäcke nicht mehr anliefern. Da der Betrieb von den Windverhältnissen abhing und daher keine Terminreservierung möglich war, hieß es schon damals: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“

Doch mit dem von Wilhelm Busch karikierten Meister Müller war es bald vorbei: Die Dampfmaschine lief der Windmühle in kurzer Zeit den Rang ab. Die Dampfmaschine lief auch ohne Wind und brachte mehr Leistung. Ein Mühlensterben setzte ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg schien den Bockwindmühlen zunächst eine Renaissance zu gelingen, als Strom, Benzin und intakte Anlagen fehlten. Doch das war nur ein letztes Aufbäumen: 1957 verabschiedete die Bundesregierung im Interesse der Großindustrie ein Mühlengesetz, das „Gesetz zur Finanzierung der Stillegung von Mühlen“, das einer Marktbereinigung gleichkam. Der Beruf des Mühlenbauers wurde aus der Handwerksrolle gestrichen.

Windmühlen haben seitdem nur als Heimatmuseum oder technisches Denkmal überlebt. An jedem Pfingstmontag erinnert die Deutsche Gesellschaft für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung an das Kapitel vorindustrieller kinetischer Energiegewinnung und führt seit 2009 an den rund tausend erhaltenen Wind- und Wassermühlen Aktionstage durch.

Auch wenn Windmühlen heute anachronistisch sind, gelten sie als Zeugen technischen Genies der vorindustriellen Europäer. Und im Gegensatz zu heute waren die Windmühlen damals unter ästhetischen Aspekten ein Gewinn für die Landschaft. Oder kämen flämische Maler heute noch darauf, Windkraftwerke auf die Leinwand zu bringen?