© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Nachruf auf Egon Bahr
Er war ein deutscher Patriot
Dieter Stein

Vor elf Jahren trat ich durch die Drehtür des Willy-Brandt-Hauses, der SPD-Parteizentrale in Berlin. Gemeinsam mit Moritz Schwarz hatte ich einen Termin bei Egon Bahr, dem Weggefährten von Willy Brandt und einer lebenden Legende der Sozialdemokratie. Wir führten ein langes Interview zur Lage der Nation anläßlich des 15. Jahrestages des Mauerfalls vom 9. November 1989. 

Das Gespräch war ein Politikum – und das wußte Egon Bahr. Kaum war es veröffentlicht, brach eine Medienkampagne los. Ausgerechnet im Willy-Brandt-Haus habe er sich mit den Journalisten der „umstrittenen“ JF treffen müssen. Das SPD-regierte Nordrhein-Westfalen ließ die JF seit 1995 im NRW-Verfassungsschutzbericht als anstößig erwähnen, behauptete, es lägen „tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auf rechtsextremistische Bestrebungen“ bei der JF vor. SPD-Chef Franz Müntefering erklärte, es dürfe sich nicht wiederholen, daß die JF ins Willy-Brandt-Haus komme. Wir gewannen 2005 nicht nur den Prozeß gegen das Land NRW vor dem Bundesverfassungsgericht, woraufhin der Verfassungsschutz seine Verleumdungen einstellte, Egon Bahr lud uns auch noch mehrfach in sein Büro in die SPD-Parteizentrale. Die teils hysterische Kritik aus der Presse, von seinen eigenen Parteifreunden, perlte an Bahr ab. Demonstrativ nahm er die JF in einer Art Ehrenerklärung in Schutz, bekräftigte, die Zeitung habe „den 20. Juli fabelhaft behandelt, einschließlich der dortigen Sozialdemokraten“.

Was gefiel dem alten Fuchs und außenpolitischen Strippenzieher Bahr an der JF, wo er doch wie kein anderer in den siebziger Jahren von Konservativen und Rechtsradikalen wegen seiner Verständigungspolitik mit der DDR teilweise haßerfüllt bekämpft worden war? Egon Bahr war ein aus tiefstem Herzen patriotisch gesinnter Mensch. Ihn bewegte das Schicksal seiner Nation. Und er sah, daß uns dieses Motiv verband, so sehr wir in manch anderen Fragen unterschiedlicher Meinung sein mochten (Nachruf auf Seite 6).

„Weinend lieb ich Dich noch“, zitiert Bahr im JF-Gespräch einen Dichter: „Trotz der schrecklichen Geschichte ist es doch mein Land. Was denn sonst? Man kann aus seiner Geschichte nicht austreten, und man sollte nicht in Nihilismus verfallen.“ Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger urteilte über Bahr nach Begegnungen mit ihm in den siebziger Jahren, er habe ihn zwar für einen Linken gehalten, jedoch  „vor allem für einen deutschen Nationalisten“.

Bei den Begegnungen mit Egon Bahr hatten wir den Eindruck, daß es ihm wichtig war, die ideologischen Gräben, die in den Weltbürgerkrieg geführt hatten, zuzuschütten, daß es einen offenen Dialog zwischen „Linken“ und „Rechten“ geben sollte. Dieses Anliegen wollen wir in Erinnerung an diesen großen Sozialdemokraten zu bewahren suchen.