© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

An der Belastungsgrenze
Einwanderung: Die steigende Zahl von Asylbewerbern in Deutschland sorgt für wachsende Probleme
Christian Schreiber

Ausschreitungen in Flüchtlingsheimen, Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte und immer neue Höchstzahlen. Die Flüchtlingsproblematik hat weite Teile der Europäischen Union erfaßt und droht zunehmend außer Kontrolle zu geraten. Die Bundesregierung rechnet für das laufende Jahr mit bis zu 800.000 Asylanträgen in Deutschland. Noch im Mai kalkulierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit 450.000 Asylanträgen. Schon das wäre ein Rekord gewesen. So viele Asylbewerber kamen in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie innerhalb eines Jahres. Nicht einmal auf dem Höhepunkt der Asyldebatte Anfang der neunziger Jahre. 

Die Kosten schnellen in die Höhe

Und es scheint sich auch bei neuen Zahlen nur um eine vorsichtige Schätzung zu handeln. „Vielleicht werden es auch noch mehr“, fürchtet die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen Hannelore Kraft (SPD). Erfahrungsgemäß gebe es noch einen Zuwachs in den Monaten September und Oktober. „Vor dem Winter gibt es nochmal eine Welle, die kommt, und dann könnte die Zahl auch noch darüber liegen“, sagte Kraft. Selbst die magische Grenze von einer Million scheint derzeit nicht mehr ausgeschlossen. 

Und das geht ins Geld. Angesichts der Rekordzahl von Flüchtlingen müssen Bund, Länder und Kommunen dauerhaft zusätzliche Milliarden für deren Aufnahme bereitstellen. Allein die Kosten für die Unterbringung, Versorgung und das Taschengeld der Asylbewerber würden sich voraussichtlich um sechs Milliarden Euro im Jahr erhöhen, berichtete Focus unter Berufung auf eine interne Schätzung der Bundesregierung. Bislang hat der Bund den Ländern und Kommunen dafür lediglich eine Milliarde Euro an Entlastung zugesagt.

SPD-Chef Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier fordern auch aus diesem Grund neue Wege im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik. In einer in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlichten Stellungnahme kritisierten die SPD-Politiker, die bisherige Reaktion der EU entspreche „nicht dem Anspruch, den Europa an sich selbst haben muß“. Notwendig sei eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa. „Es ist genauso wenig tragbar, daß nur einige wenige Mitgliedstaaten die ganze Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen tragen wie ein System, das Lasten einseitig auf die Länder verteilt, die zufällig die Außengrenze der EU bilden“, heißt es. 

Hannelore Kraft forderte unterdessen mehr Personal und zügigere Verfahren. „Das eigentliche Nadelöhr ist die Dauer der Verfahren“, sagte sie gegenüber dem Deutschlandfunk. Im Moment liege die Dauer bei weit über siebeneinhalb Monaten. Geplant sei, daß diese Verfahren innerhalb von drei Monaten abgeschlossen seien. „Das müssen wir erreichen, das muß unser Ziel sein, und zwar schnellstmöglich.“ Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mahnte zur Besonnenheit und Sachlichkeit: „Wir müssen unterscheiden zwischen jenen, die hierhin kommen weil sie verfolgt sind, oder jenen, die ein besseres Leben suchen.“ Nur rund 30 Prozent der Asylsuchenden kommen aus Krisenregionen wie Syrien, dem Irak oder Afghanistan. In Syrien tobt seit vier Jahren ein blutiger Bürgerkrieg, in dem nach Schätzungen der Vereinten Nationen schon 250.000 Menschen getötet wurden. Im Irak kämpfen Soldaten und schiitische Milizen gegen den „Islamischen Staat“, und im kriegsgeschüttelten Afghanistan gewinnen nach dem Beginn des internationalen Truppenrückzugs die Taliban wieder an Einfluß.

Polizei benennt Soko „Asyl“ um

Ein weiteres Drittel der Antragsteller stammt aus den Balkanstaaten Albanien, Serbien, Kosovo, Mazedonien und Montenegro, die ihre Länder meist aus wirtschaftlichen Gründen verlassen und deren Aussichten, in Deutschland Asyl zu erhalten, verschwindend gering sind. Die Bundesregierung hatte aus diesem Grund zuletzt in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei angekündigt, in den betreffenden Ländern Videobotschaften zu zeigen, die von einer Einreise nach Deutschland abhalten sollen. Denn die Stimmung wird zunehmend gereizter. In einer überfüllten Unterkunft im thüringischen Suhl kam es in der vergangenen Woche zu schweren Ausschreitungen. Dabei wurden insgesamt 15 Personen verletzt, darunter auch vier Polizisten, die von den Randalierern angegriffen wurden. Ein zum Christentum übergetretener Bewohner soll Seiten aus einer Ausgabe des Korans herausgerissen haben. Darauf sei es zu tumultartigen Szenen gekommen, an denen rund 100 Personen beteiligt waren. Bereits vor einigen Wochen war es an gleicher Stelle zu einer Massenschlägerei gekommen. 

Unterdessen hat die Braunschweiger Polizei ihre in der vergangenen Woche gegründete Sonderkommission „Asyl“ 

(JF 35/15) nach Kritik am Namen wieder umbenannt. „Keinesfalls sollte es hier zu einem Generalverdacht kommen oder Menschen diffamiert werden“, sagte der Leiter des Zentralen Kriminaldienstes Ulf Küch. Die Soko war eingerichtet worden, um gezielt gegen die wachsende Zahl von kriminellen Asylbewerbern in der Stadt vorzugehen.