© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Grüße aus Moskau
Teure Vergnügen
Thomas Fasbender

Immer schon träumt Moskau davon, zivilisiert zu sein. Wenigstens so, wie es einer 12- oder 15-Millionen-Metropole möglich ist. Viel wurde erreicht. Man kann inzwischen sogar wagen, einen Zebrastreifen zu betreten. Die Liebe zur Zivilisation geht so weit, daß entschieden wurde, Bordsteine aus Beton durch solche aus Granit zu ersetzen. Ein teures Vergnügen in einer Stadt, die 2.511 Quadratkilometer groß ist. Zum Glück gilt der Ukas erst einmal nur für das Zentrum. Dennoch, 20 Millionen Euro wird der Spaß kosten.

Seit Sergei Sobjanin 2010 Bürgermeister wurde, sind ausgerechnet die Bürgersteige immer wieder Gegenstand von Gerüchten. Kaum war der neue Mann im Amt, wurden die Trottoirs im Zentrum nicht mehr asphaltiert, sondern mit Gehwegplatten gepflastert. Angeblich halten Gehwegplatten den Unbilden der nordischen Witterung besser stand. Noch „angeblicher“ gehört Sobjanins Ehegattin eine Fabrik für Gehwegplatten im Ural.

Nun dürstet es die Russen nach Abziehbildern ihrer großen und ruhmreichen Vergangenheit.

Das Gerücht ist so zäh wie Dutzende andere. Ist es wahr? Daß selbst der Korruptionsjäger und Oppositionelle Alexei Nawalny, der jüngst entdeckte, daß Präsidentensprecher Dmitri Peskow seine Flitterwochen auf einer 88-Meter-Segelyacht im Mittelmeer verbringt, bislang nichts Substantielles zur Gehwegplattenfabrik der Bürgermeistergattin herausgefunden hat, läßt Zweifel zu.

Wo Nawalny allerdings fündig wurde, ist bei den Fahrrädern. Seit 2013 gibt es in Moskau ein Fahrradverleihsystem mit Standorten rund um das Stadtzentrum. Ein öffentlicher Luxus, der Schwund und Verlust mit sich bringt. 2014 steuerten die Stadtverwaltung und zwei staatliche Banken 300 Millionen Rubel bei. Bis 2018 sollen die Kosten auf eine Milliarde Rubel steigen. Je Rad, das hat Nawalny ausgerechnet, wären das gut 3.000 Euro. Das ginge noch – es sind solide Bikes –, doch statt der im vergangenen Sommer zugesagten 4.500 Fahrräder fand er nur 480.

Und dann erst die Sache mit den Bäumen. In sowjetischer Vorzeit war die mehrspurige Twerer Straße, die vom Kreml aus in Richtung St. Petersburg führt, nicht nur grau und staubig, sondern beidseits von Grün gesäumt. Nun dürstet es die russischen Menschen nach Abziehbildern ihrer großen und ruhmreichen Vergangenheit. Was liegt näher, als dort 60 Bäume in soliden Marmorgefäßen aufzustellen? Zu berappen sind nicht ganz 100.000 Euro je Baum und Gefäß einschließlich Pflege für fünf Jahre – ein Schnäppchen.