© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Willkommen im Anthropozän
Geologische Zeiträume: Eine Ausstellung in München widmet sich den komplexen wechselseitigen Abhängigkeiten von Mensch, Technik und Natur
Felix Dirsch

Daß die Menschheit auch in geologischen Maßstäben gesehen der Erde ihren Stempel irreversibel aufdrückt, erscheint eigentlich zu trivial, als daß es ausdrücklich erwähnt werden müßte; und doch existiert der Ausdruck „Anthropozän“ (Menschenzeitalter), geprägt von dem Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen, noch nicht allzu lang. Er konnte freilich auf manche Vorläuferkonzeption zurückgreifen. Umstritten ist jedoch der Beginn dieser Periode: Fing dieser Zeitraum mit dem Neolithikum vor etwa 6.000 Jahren an, mit der Industriellen Revolution vor über 200 Jahren oder erst mit der „Großen Beschleunigung“ ab der Mitte des 20. Jahrhunderts?

Diesen Fragen und den ungeheuer vielfältigen Facetten des Anthropozäns geht eine Ausstellung im Deutschen Museum (zusammen mit dem Rachel Carson Center) nach. Eingangs wird der Besucher mit einem quaderförmigen Gerüst konfrontiert, an dem Bildschirme unterschiedlicher Größe angebracht sind. Zu sehen sind verschiedene Filme über den Einfluß des Menschen auf seine Umwelt. Danach geht es durch die Öffnung einer Wand aus vielen Pappkartons. Auf diesen sind diverse Zitate zu lesen, die das rasche Auseinandertreten von Vergangenheit und Gegenwart verdeutlichen. So prophezeite Gottlieb Daimler einst, daß niemals mehr als eine Million Automobile die Erde befahren würden.

Die Schau ist in sechs große Themen gegliedert, die in Form von Inseln präsentiert werden: Urbanität, Mobilität, Mensch-Maschine, Natur, Ernährung und Evolution.

Zu den wichtigsten Veränderungen seit der Industriellen Revolution zählen das explosionsartige Anwachsen und die Zunahme der Städte. Auf der Insel „Urbanität“ wird insbesondere das Phänomen der informellen Ökonomie, vornehmlich in der Dritten Welt, erläutert, das heißt die nicht erfaßten Verkaufs-, Produktions- und Handelszahlen. Aufgrund des rasanten Wachstums nehmen allerdings auch die Probleme der Lebensmittel- und Wasserversorgung zu. Daneben wird auch die Frage, inwiefern Städte Orte der Kreativität sind und werden können, am Beispiel des in den Niederlanden lebenden afrikanischen Künstlers Victor Sonna aufgeworfen. Er schuf ein Fahrrad mit mäandernden Bestandteilen, die beide Räder miteinander verbinden.

Die Insel „Mobilität“ verdeutlicht, wie in der Menschenzeit alles in Bewegung gerät. Beginnt man einmal mit Eingriffen, so sind häufig kaskadenartige Veränderungen die Folge. Eindrucksvoll illustriert wird ein solcher Wandel am Beispiel eines Staudamms, seinem Nutzen etwa für die Energiegewinnung, aber auch den Schattenseiten. So brachte der Jangtse-Staudamm dramatische Einschnitte für die Umwelt mit sich.

Der Bereich „Mensch-Maschine“ exemplifiziert die großartige Schaffenskraft unserer Spezies, ebenso die Kehrseiten dieser Entwicklung. Wie weit ist der Trend zum künstlichen Menschen fortgeschritten, der dem natürlichen je nach dessen Willen auf allen Daseinsfeldern zur Hand gehen soll? Der perfekte Dienstbote hat in manchen Haushalten Einzug gehalten. In nicht wenigen posthumanistischen Diskursen wird freilich in die Zukunft gedacht: Wann wird der Mensch aufgrund dieser Tendenzen überflüssig? „Abgehängt“ (Nicolaus Carr) durch die moderne Technik – dieses Gefühl ist für viele keineswegs unbekannt.

Das enorm vielfältige Gebiet der „Natur“ wirft nicht zuletzt die Frage auf: Welche Natur ist die unsere? Ist es die vorgegebene, die manche als Schöpfung bezeichnen, oder ist es die zweite Natur, die die erste längst größtenteils überwölbt? Zu sehen ist unter anderem, daß der Mensch sich nicht nur die Natur zunutze macht und vielfach ausbeutet. Es existieren auch Beispiele der Rückbildung in ihren frühen Zustand. Ebenso wird das verbreitete Bedürfnis nach Naturästhetik reflektiert.

Zu den großen Menschheitsproblemen gehört die Sicherstellung der Ernährung. Maßgeblich ist die weitere Entwicklung nebenwirkungsfreier Düngemethoden, die weit mehr als nur technische Aspekte berührt. Entscheidend wird auch sein, die Nährstoffe im System zu erhalten. Tatsache ist, daß die jedem Menschen rein statistisch zustehende Nutzfläche wegen des Bevölkerungswachstums immer kleiner wird. Ohne Intensivierung der Produktion wird es auch in Zukunft nicht gehen.

Der Teil „Evolution“ stellt die Bedeutung des Menschen als Beschleuniger heraus. So erfolgt die Anpassung von Tieren und Pflanzen, die in den meisten Perioden der Erdgeschichte langsam vor sich ging, durch Zuchtprogramme und genetische Veränderungen immer mehr im Zeitraffer.

Insgesamt bietet die Ausstellung eine Fülle an wertvollen Hinweisen, vornehmlich im Hinblick auf den nachhaltig-schonenden Umgang mit den knapper werdenden Ressourcen. Ein informativer Katalog sowie ein mit Comics illustrierter Band, vor allem für Kinder, dient zur Vertiefung des Gesehenen.

Die Ausstellung ist bis zum 31. Januar 2016 im Deutschen Museum in München, Museumsinsel 1, täglich von 9 bis 17 Uhr zu sehen. Telefon: 089 / 21 79-1

Der Katalog mit 208 Seiten und Abbildungen kostet 16 Euro

 www.deutsches-museum.de