© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Ein nur eingeschränkt absoluter Alleinherrscher
Absolutismus: Im 300. Todesjahr Ludwigs XIV. ist der Glanz des französischen Sonnenkönigs verblaßt
Oliver Busch

Zum 1. September 2015, dem 300. Todestag Ludwigs XIV., hat die Redaktion der Nouvelle Revue d‘Histoire keinen Aufwand gescheut, um die Erinnerung an den Sonnenkönig mit hochglanzvoller Prachtentfaltung aufzufrischen (Heft 79/2015). Doch im Kontrast zu dieser bunten Inszenierung bieten die Textbeiträge keinerlei Glorifizierung des Mannes, der heute noch als Inbegriff des absoluten Monarchen gilt.

Vielmehr folgen die Autoren dieses dezidiert rechten Geschichtsmagazins zumeist der bald nach der Französischen Revolution einsetzenden linken, republikanischen Dekonstruktion des Sonnenkönig-Mythos. Zuletzt sei es, wie die gleichfalls apologetischen Versuchungen widerstehende Redaktion hervorhebt, Pierre Goubert gewesen, der dem leuchtenden Bild vom Grand Siècle der Wissenschaften und Künste, der Europa dominierenden Hofkultur, der in vielen Kriegen eroberten Machtstellung und der überseeischen Expansion die Düsternis entgegenhielt, in der 20 Millionen Franzosen, das ausgebeutete „gemeine Volk“, unter dem despotischen Regime des Versailler Autokraten zu existieren gezwungen waren.

Hocharistokratie vereitelte königliche Steuerreformen

Um nicht vollständig ins Fahrwasser dieser sozialkritisch durchwirkten herrschenden Meinung über Ludwig XIV. abzudriften, weicht Jean Kappel in seinem Essay zur Außen- und Kriegspolitik in eine wertungsfreie, deshalb aber leider die Antriebskräfte des im Rahmen der „prästabilierten Disharmonie Europas“ (so 1914 der Vauban-Biograph Fritz Karl Mann) operierenden Königs nicht erfassende Aufzählung von Schlachtengemälden aus. 

Dies ist indes der einzige, royalistisch anmutende Versuch der Ehrenrettung Ludwigs XIV.. Denn für das Nervenzentrum des Staates, die Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik, folgt Martin Benoist fast ohne Einschränkungen Anklägern wie Goubert. Hier wird insbesondere die relative Gültigkeit des absoluten Herrschaftsanspruchs deutlich, da die Hocharistokratie und der aus ihren Reihen rekrutierte hohe Klerus ambitionierte Steuerreformpläne der königlichen Minister stets zu vereiteln wußte.

Benoist stößt in seiner kritischen Beleuchtung des vom ständischen Egoismus gehemmten Absolutismus zur klaren Diagnose des Krebsschadens dieses Systems vor. Der offenbart sich im Scheitern der im Kern schon demokratische Mobilisierung und Integration des Volkes voraussetzenden Staatsvisionen von Ludwigs fähigsten Dienern, seines Wirtschaftsministers Jean-Baptiste Colbert und des sich auch als Steuerreformer betätigenden Festungsbaumeisters und „Meisters der Belagerungskunst“, des „Städtebezwingers“ Marschall Sébastian Le Prestre de Vauban. 

Der Realisierung des von ihnen konzipierten, wirtschaftlich autarken, zentralistisch straff regierten, ethnisch und kulturell homogenen Idealstaates standen im 17. Jahrhundert nicht allein zu viele feudalistische Sondergewalten entgegen. Da half nicht einmal, daß feste innere Basis, hergestellt durch eine gerechtere Steuerpolitik und einem durch Wohlfahrtspolitik geförderten Bevölkerungswachstum, seine äußere Macht vergrößerte. Auch der vermeintliche Souverän Ludwig XIV. schreckte vor einer Radikalisierung seiner Absolutheit zurück.