© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Pioniere des Mittelalter-Rock
Die Kultband In Extremo feiert ihr 20jähriges Jubiläum: „Wer hätte das gedacht? Wir selber nicht!“
Heiko Urbanzyk

Ey, du! Hömma auf jetz’ hier! Schluß!“ schreit nach 32 Minuten mittelalterlicher Akustikmusik eine pöbelnde Männerstimme aus dem Hintergrund. Die verträumten Töne alter Instrumente weichen harter Rockmusik, um sich sogleich wieder mit den lieblichen Klängen für zwei Lieder zu vermischen. Im Jahre 1997 auf dem „goldenen“ Album, ihrer Debüt-CD, vermischte die Gruppe In Extremo erstmals ihre akustische Mittelaltermusik mit Heavy Metal und deutschen Texten für eine größere Hörerschaft.

Der Anfang einer steilen Karriere. Die begann vor genau 20 Jahren. „Wer hätte das gedacht? Wir selber nicht“, wunderte sich der im Eichsfeld aufgewachsene In-Extremo-Sänger und Mitbegründer Michael Rhein (alias Das Letzte Einhorn) noch selbst vor wenigen Wochen in einem Interview.

Geburtsfeier mit Fans       am Loreley-Felsen

Die Internetseiten der Mittelalter-Metaller stehen ganz im Zeichen des Jubiläums. Die „Jungs“ um den immerhin 51 Jahre alten Frontmann haben ihre wilden Lumpengewänder, Leder und Hornwaren abgelegt. Statt dessen präsentieren sie sich regelrecht gesittet im einheitlichen Hafenarbeiterstil mit weißen Hemden und Hosenträgern. „Ich liebe euch“, gratuliert Rock-Röhre Doro Pesch in ihrer unnachahmlichen Art per Videobotschaft: „Geile Songs, geile Pyros, geile Leute!“

Selbstverständlich soll der Geburtstag nicht nur mit den Musikerkollegen, sondern mit den Fans gefeiert werden. Zum Jubiläum wartet die noble Box „20 Wahre Jahre“ mit den zehn Studioalben in neuem Klanggewand. Hinzu kommen drei CDs mit Raritäten sowie ein 60seitiges Beiheft und ein numerierter Kunstdruck. Veröffentlichungstermin ist der 4. September, der erste Tag des eigens für den 20. Jahrestag ins Leben gerufenen zweitägigen Loreley-Festivals. Auf der legendären Freilichtbühne der Loreleystadt St. Goarshausen wird es nach guter Vätersitte und der Art mittelalterlicher Gelage hoch hergehen. Mit dabei sind deutsche Szenekollegen wie Schandmaul, Eisbrecher, Krupps und Fiddler’s Green oder Eluveitie (Schweiz) Korpiklaani (Finnland), Omnia (Holland) und Orphaned Land (Israel).

1995 als reines Akustik-Projekt gestartet, tingelten In Extremo wie Corvus Corax oder Saltatio Mortis zunächst über Mittelaltermärkte wie viele Vertreter ihrer Zunft. Parallel dazu entwickelte sich das zweite Standbein, das die Dudelsäcke mit metallischen Gitarren verband – und schließlich das Erfolgsrezept wurde. In Extremo füllen heute ganze Hallen oder spielen vor Zehntausenden Festival-Besuchern nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika, Rußland oder China. Der bisherige Höhepunkt ihrer Karriere war ihr Auftritt beim Böhse-Onkelz-Festival im Juni am Hockenheimring vor 350.000 Zuschauern.

In den Anfangstagen veröffentlichten In Extremo zwei reine Mittelalter-CDs. 1998 gab es dann neben der akustischen „Hameln“-Album auch den ersten Mittelalterrock-Knaller „Weckt die Toten“. Letzterer soll sich seither über 450.000mal verkauft haben. Die erste deutsche Chartplazierung folgte mit „Verehrt und angespien“ 1999. Die CD „7“ (2003) und „Mein rasend Herz“ (2005) hielten sich wochenlang auf Platz 3, „Sängerkrieg“ (2008) und „Sterneneisen“ (2011) standen gar für 30 beziehungsweise 18 Wochen auf Platz eins – goldene Schallplatten inklusive.

Während anfangs die Metal-Schlagseite überwog, kamen spätere Alben massentauglicher daher. Der Erfolg bestätigte den Weg der Mittelalter-Rocker. Musik und auch die Texte, die Verse aus dem mittelalterlichen Textbuch „Carmina Burana“ sowie Gedichte von Goethe, Uhland, Tannhäuser oder François Villon zitierten, kommen bei Jung und Alt gut an. Die althochdeutschen „Merseburger Zaubersprüche“ zählen auch heute noch zu ihrem Repertoire. Karten für das Loreley-Festival gibt es noch. Auf den Rheinfelsen wird es erstmals das eigens geschriebene Jubiläumslied „Loreley“ zu hören geben, das sich ebenso auf der „20 Wahre Jahre“-Edition finden wird.

Foto: Sänger Michael Rhein (l.) und Ernst-Felix Zorzytzky bei einem Auftritt in Wien: Mit Folkmetal von den Marktplätzen in die großen Hallen