© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/15 / 04. September 2015

Eff Jott Ess
100. Geburtstag: Er war begnadeter Populist und brillanter Fachpolitiker / Wie kein anderer Ministerpräsident hat er Bayern geprägt und gleichzeitig gesamtdeutsche Spuren hinterlassen
Thorsten Brückner

Woran sie zu seinen Lebzeiten kläglich gescheitert sind, versuchten die bayerische FDP und die Bayernpartei nun postum: den Übervater Franz Josef Strauß vom Thron der bajuwarischen Sympathie zu stoßen. Sekundiert von einem mit Strauß über den Tod hinaus in inniger Feindschaft verbundenen Hamburger Nachrichtenmagazin, das kurz vor dem 100. Geburtstag des Ausnahmepolitikers am 6. September einen Bericht über angebliche Schmiergeldzahlungen veröffentlichte, forderten beide Parteien die Umbenennung des nach Strauß benannten Flughafens im Erdinger Moos. Den Bau des Großprojekts hatte Strauß unter dem Namen München II noch selbst in die Wege geleitet, um den in die Jahre gekommenen Flughafen München-Riem durch eine moderne Alternative abzulösen. 

Es ist ein Stelldichein der schlechten Verlierer. In seiner Amtszeit als Ministerpräsident gelang es Strauß, die FDP in Bayern zu marginalisieren. Mit wenigen Ausnahmen bekommt sie noch heute im Freistaat keinen Fuß auf den Boden. Und dank Strauß’ geschicktem Lavieren zwischen bayerischem Föderalismus und gesamtdeutschem Anspruch der CSU ist die Bayernpartei, die in den fünfziger Jahren große Erfolge feierte, spätestens ein Jahrzehnt danach zu einer Folkloretruppe geworden, die über ihre eigene Bedeutungslosigkeit nicht hinwegkommt. So stieß die Umbenennungsposse auch vor allem außerhalb Bayerns auf Resonanz.

„Wer heute an Bayern denkt, denkt nicht an die SPD“

Die Menschen, die  ihn am besten kannten, wissen noch heute, was sie dem 1915 in München geborenen Metzgersohn, der 1935 als Jahrgangsbester in Bayern sein Abitur ablegte, zu verdanken haben. Durch bedeutende Infrastrukturprojekte, an denen er federführend beteiligt war, hat Strauß zwischen Spessart und Karwendel bis heute seine Spuren hinterlassen. Unter seiner Ägide als CSU-Vorsitzender ab 1961 nahm die zuvor jahrzehntelang diskutierte Idee eines Wassertransfers aus der Donau in die wasserarmen Gebiete Frankens – der Regnitz und von dort in den Main – Gestalt an. Die dazu notwendigen Stauseen im Altmühltal sind heute eines der größten Naherholungszentren im Freistaat. Der Tourismus aus dem In- und Ausland hat aus dem ehemals rückständigen westlichen Mittelfranken eine aufstrebende Wirtschaftsregion gemacht. Überhaupt waren es die strukturschwachen Gegenden seines Landes, die dem Oberbayern am Herzen lagen. 

Dabei mußte der studierte Altphilologe die schmerzliche Erfahrung machen, daß seine Landsleute oft von ihrem Glück nichts wissen wollten: sein Plan einer Atommüll-Wiederaufbereitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf scheiterte am Widerstand der Anwohner. Gerade in der Atomfrage wird deutlich, wie sich Strauß von seinen selbsternannten Erben in der heutigen CSU unterschied. Nach dem Gau von Tschernobyl 1986 hielt er im Landtag eine kämpferische Rede, in der er zwar auf die Sorgen der Bevölkerung einging, aber betonte, an der Kernenergie festzuhalten, da andernfalls Deutschland der Rückfall auf ein „primitives Niveau“  drohe. Wie anders klangen doch da die hysterischen Reaktionen mancher christsozialer Spitzenpolitiker nach dem Reaktorunglück im 10.000 Kilometer entfernten Fukushima! 

Keiner, da sind sich Freunde wie Feinde einig, hat Bayern so geprägt wie er. Sein Leitmotto, den Leuten aufs Maul zu schauen, ohne ihnen nach dem Mund zu reden, war Ausdruck einer gleichzeitig pragmatisch-anpassungsfähigen wie in den großen Kernfragen prinzipienfesten Politik. Das stellte er von der Gründung der Bundesrepublik bis 1969 zunächst vor allem in Bonn unter Beweis. Westbindung, Wiederbewaffnung, friedliche Nutzung der Kernenergie, soziale Marktwirtschaft und ausgeglichene Haushalte waren die Themen, für die er in verschiedenen Ministerämtern, darunter als Verteidigungs- und Finanzminister mit ebenso großer Sachkompetenz wie polemischer Rhetorik kämpfte. Sein Erfolgsgeheimnis: er war in der Lage, genauso Bierzelte zu stehenden Ovationen zu begeistern wie in einem Expertengremium über technologische Innovationen zu debattieren; er konnte Schimpftiraden auf politische Gegner in hemdsärmeligem Bairisch loslassen wie im Bundestag mit lateinischen Einwürfen brillieren. Dieser Dualismus schlug sich nicht zuletzt auch im Wählerpotential seiner Partei nieder, die Bürgerliche ebenso ansprach wie Arbeiter und Rentner. 

Seinen Intellekt und seine Detailverliebtheit erkannten selbst seine schärfsten Gegner an. „Er war ein brillanter Kopf, einer der intelligentesten Politiker, die mir in meinem Leben über den Weg gelaufen sind“, sagte sein Unionsrivale Helmut Kohl über ihn. Nach seinem Ausscheiden als Verteidigungsminister im Zuge der Spiegel-Affäre immatrikulierte er sich 1963 an den Universitäten München und Innsbruck in Betriebswirtschaft und Staatswissenschaften – parallel zu seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter. Nach dem Amtsantritt der sozialliberalen Koalition 1969 entwickelte sich Strauß zum Chefkritiker der Ausgabenpolitik von Willy Brandt und geißelte die ausufernde Bürokratie. „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, ist es notwendig, kein Gesetz zu machen“, so seine Maxime.

Nach 1969 verlagerte sich sein Lebensmittelpunkt wieder nach München. Die Arbeitsteilung zwischen dem kämpferischen Rebellen und dem auf Ausgleich setzenden Ministerpräsidenten Alfons Goppel erwies sich als Glücksfall für die CSU, die sich in dieser Zeit ihr Abonnement auf absolute Mehrheiten sicherte. „Wer heute an Bayern denkt und den weiß-blauen Himmel vor Augen hat, der denkt doch nicht an die SPD“, konnte Strauß später sagen. Längst vergessen war da die Zeit, als der sozialdemokratische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner teilweise mit Unterstützung der Bayernpartei das Land regierte. 

Auch an der Grundsteinlegung dieses Erfolgs hatte Strauß maßgeblichen Anteil. Anders als die Weimarer Vorgängerpartei BVP, öffnete er die CSU verstärkt für Protestanten und Wirtschaftsliberale. Die von ihm als Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag maßgeblich mitgestaltete Fraktionsgemeinschaft mit der CDU unterstrich nicht nur den bundespolitischen Anspruch der Christsozialen, sondern ermöglichte es ihm auch, die bayerischen Partikularisten in der eigenen Partei, die noch in den Fünfzigern einen mächtigen Gegenpol zum gesamtdeutsch denkenden Flügel um Strauß bildeten, in Schach zu halten. Das Modell der Arbeitsteilung mit der CDU erwies sich als so fest, daß nicht mal Strauß selbst es aus der Verankerung reißen konnte. Der von ihm angestoßene Kreuther-Trennungsbeschluß 1976 scheiterte nach wenigen Wochen und heftigem innerparteilichem Protest sang- und klanglos. Eine weitere Niederlage folgte für den erfolgsverwöhnten Machtpolitiker vier Jahre später, als er Helmut Schmidt im Ringen um die Kanzlerschaft unterlag. 

Dabei zeigte sich: Während die Menschen im Süden der Republik Strauß liebten und ihm ihr Vertrauen schenkten, schlug ihm im Norden der Republik oft geifernder Haß entgegen. Der mißlungene Griff nach der Kanzlerschaft bildete seinen Abschied von der Bonner Bühne. „Der Wehner kommt nicht mehr, der Schmidt will nicht mehr, was hab ich da noch in Bonn verloren?“ antwortete er auf Gerüchte, er wolle als Minister in ein Kabinett Kohl eintreten. Dennoch wurden ihm seit Beginn der schwarz-gelben Koalition im Bund 1982 bis zu seinem Tod 1988 immer wieder Ambitionen auf das Außenministerium nachgesagt. 

Doch auch ohne dieses Amt tourte er als Außenpolitiker um die Welt, immer mit dem Ziel, Regierungen und Unternehmen zu Investitionen in Bayern zu bewegen. Mit Erfolg: Das einstige Armenhaus Deutschlands, der hoffnungslos unterentwickelte Agrarstaat erhielt 1986 erstmals keine Gelder mehr aus dem Länderfinanzausgleich und entwickelte sich dank der Strukturreformen seines Landesvaters schnell zum größten Geberland. Akzente setzte Strauß auch gegen illegale Einwanderung und verlangte angesichts von fast 100.000 Asylbewerbern im Jahr 1986 eine Reform des Grundgesetzartikels 16 – sechs Jahre vor Rostock-Lichtenhagen und dem anschließenden Asylkompromiß. Vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder mußte er sich dafür als „Sau“ beschimpfen lassen. 

Was würde Strauß heute wohl zu über 100.000 Asylbewerbern sagen, die 2015 allein in seine bayerische Heimat strömen? Als sicher kann eines angenommen werden: Nicht weiter abgegeben hätte er sich mit den „politischen Pygmäen“ und „Reclam-Ausgaben von Politikern“, die jetzt die Umbenennung „seines“ Flughafens fordern.





Lebenslauf

6. September 1915

Franz Josef Strauß wird als zweites Kind des Metzgermeisters Franz Josef Strauß und seiner Ehefrau Walburga in München geboren

1935–1945

Abitur, Arbeitsdienst und Studium der Altphilologie und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München; Teilnahme am Frankreich- und Rußlandfeldzug; Ausbildungsoffizier und Abteilungsadjudant an der Flakschule in Altenstadt bei Schongau 

1946–1949

Landrat von Schongau und Mitglied im Frankfurter Wirtschaftsrat der Bizone

1949–1978

Mitglied des Deutschen Bundestags 

1953–1962

Bundesminister für besondere Aufgaben (bis 1955); Bundesminister für Atomfragen (bis 1956); Bundesminister für Verteidigung 

1961–1988

Parteivorsitzender der CSU

1966–1969

Bundesminister der Finanzen

1978–1988

Bayerischer Ministerpräsident; Kanzlerkandidat von CDU/CSU (1980)

3. Oktober 1988

Franz Josef Strauß stirbt in Regensburg





Zitate

„Von Bayern gehen die meisten politischen Dummheiten aus. Aber wenn die Bayern sie längst abgelegt haben, werden sie anderswo noch als der Weisheit letzter Schluß verkauft.“  (1955)

„Irren ist menschlich, aber  immer irren ist sozial-demokratisch.“  (1965)

„Wir brauchen eine Politik der Treue zu Deutschland, und nicht der Wahrnehmung fremder Interessen.“  (1976)

„Der einzige Unterschied zwischen Gott und den Historikern besteht darin, daß Gott die Vergangenheit nicht ändern kann, wohl aber können das die Historiker.“ (1983)

„Wir Bayern müssen bereit sein, wenn die Geschichte es erfordert, notfalls die letzten Preußen zu werden.“  (1985)

Foto: Strauß redet auf einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in Dortmund (1987): Im Norden der Republik schlug ihm oft Haß entgegen