© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/15 / 04. September 2015

Eingeklemmt zwischen Pizza und Veggie-Schinken
Lebensmittelbranche: Traditionelle Bäcker und Fleischereien sterben aus / Marktkonzentration schreitet voran / Konditoren mit Umsatzplus
Christian Schreiber

Jährlich steigt der Umsatz beim Verkauf von vegetarisch-veganen Fleischalternativen im Lebensmitteleinzelhandel um rund 30 Prozent“, jubelte kürzlich der Vegetarierbund Deutschland (Vebu). Mit 98 Millionen Euro sei 2014 ein neuer Rekord erzielt worden. „Neben ethischen Gründen ist das Umsatzplus der Fleischalternativen auch auf ein wachsendes Gesundheits- und Umweltbewußtsein in der Bevölkerung zurückzuführen“, erklärte Vebu-Geschäftsführer Sebastian Zösch.

Neue Konsumgewohnheiten verdrängen das Abendbrot

Ikea verkauft vegetarische Köttbullar, selbst der 1834 gegründete Fleischriese Rügenwalder, dessen Teewurst sogar in Amerika und China ein Begriff ist, bietet längst auch vegetarische Wurst und Schinken an. Über 90 Prozent der Verbraucher halten zwar weiterhin nichts von fleischloser Ernährung, ließe sich dem Vebu entgegenhalten – doch selbst bei der Mehrheit hat ein Wandel eingesetzt. Käfig-Eier sind aus den Regalen verschwunden, viele Verbraucher greifen inzwischen sogar zu teuren Bio- oder Eiern aus Freilandhaltung. „Frisch, aus kontrollierter Schlachtung“, versprechen die Produkte aus der Fleischtruhe.

„Das Komsumverhalten hat sich verändert. Früher hat man vom Abendbrot gesprochen. Heute ist es vielerorts die gelieferte Pizza oder Fast Food“, klagt der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Dabei galt Deutschland jahrhundertelang als Hochburg der Backkunst, doch statistisch gesehen schließt jeden Tag eine Bäckerei. „Früher hatte jedes Dorf einen Bäcker und einen Fleischer, jetzt gibt es nur noch Filialen von Großbäckereien, Backshops in Supermärkten und Selbstbackware“, sagt Bäcker Norbert Stubbemann aus Oldenburg der Nordwestzeitung.

Der Druck werde jedes Jahr größer – schärfere Auflagen, mehr Bürokratie, höhere Kosten, es werde nicht besser. „Ich bin jetzt 57 Jahre alt, noch drei und ich mach den Laden dicht“, kündigt der Bäcker an. „Ich bin traurig, daß es so gekommen ist, aber da kann man nichts machen. Irgendwann gibt es nur noch Großbäckereien, und überall wird es dieselbe Ware geben.“ Es gibt viele, die diesen Trend beklagen – doch der Strukturwandel ist unerbittlich: 14.000 Bäckereien stehen derzeit noch in der Statistik, in den fünfziger Jahren waren es aber über 55.000 Anbieter. In wenigen Jahren sollen allenfalls noch 8.000 Bäckereien übrig sein, prognostizierte Helmut Klemme, Chef des Verbands der Deutschen Großbäckereien, in der Welt.

Einzelkämpfer haben in der Tat kaum noch Chancen. Die Marktkonzentration läßt sich an den Anteilen ablesen. Während die 34 größten Unternehmen 30 Prozent des Marktes auf sich vereinen, teilen sich die 12.000 kleinsten Backstuben 20 Prozent. „Die Leute haben eine romantische Vorstellung vom Bäcker, der mitten in der Nacht aufsteht, den Teig anrührt und selbst am Ofen steht. Mit der Realität hat das aber nicht mehr viel zu tun“, sagt ein saarländischer Bäcker, der anonym bleiben möchte.

Der Unternehmer betreibt zwölf Filialen, einige davon in Einkaufszentren. Gegen die Billig-Konkurrenz von Lidl & Co. komme man nicht mehr an: „Die bieten Brot aus Fertigproduktionen an, das schmeckt okay, ist aber nix Spezielles. Wir schauen, daß wir unser Basis-Sortiment erhalten, ansonsten muß sich jeder eine Nische schaffen.“ Kleinbäckereien gibt der Handwerksmeister langfristig kaum noch Chancen: „Es hat auch etwas mit den Lebensgewohnheiten der Menschen zu tun. Früher ist man morgens raus zum Bäcker und hat Brötchen gekauft. Heute wollen die Leute lieber gleich ein ganzes Frühstück. Wir orientieren uns an den Bedürfnissen der Kunden und sind damit gut gefahren.“ In den Auslagen seiner Läden finden sich mittlerweile Sandwichs, Salate, Frikadellen, Obst und Joghurtprodukte.

„Die Bäcker verlieren ihr Brotgeschäft und versuchen, dieses durch ein Snackangebot auszugleichen“, sagte Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG). Einkäufe werden eher am Wochenende und am liebsten an nur einem Ort erledigt: im Supermarkt. Dort ist aber kein örtlicher Bäckermeister, sondern die Filiale einer Backwarenkette vertreten.

Billig-Konkurrenz der Discounter

Während im Bäckerhandwerk der Konzentrationsprozeß fortschreitet und die Tendenz zur Filialisierung ungebrochen ist, schreiben viele Konditoreien hingegen schwarze Zahlen – trotz der Tiefkühlanbieter wie Coppenrath & Wiese. Die Umsätze seien seit Jahren wieder steigend, freut sich der Deutsche Konditor-Bund. Der NGG-Chef hofft, daß die Kunden grundsätzlich bereit seien, für gute Produkte auch gutes Geld auszugeben. „Das Brot zum Frühstück ist aber eben nichts Besonderes. Der Kuchen am Sonntag schon. Und der kommt dann eben nicht aus der Packung, sondern von der Konditorei“, sagt Möllenberg und empfiehlt Spezialisierung.

Auf diesen Ausweg hofft auch die Metzgerbranche, denn allein im vergangenen Jahr ging die Zahl der selbstständigen Fleischerfachbetriebe um 441 auf 13.931 zurück. Zehn Jahre zuvor waren es noch 18.320. Das liegt nicht nur zum Teil an den sieben bis acht Millionen Vegetariern. Entscheidender ist die Billigkonkurrenz der Discounter, die mittlerweile einen Marktanteil von 40 Prozent halten. Der Metzger um die Ecke hat aber durchaus eine Zukunft. Nach einer Studie der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie achten gut 30 Prozent der Verbraucher bei ihrem Einkauf darauf, daß die Tiere artgerecht gehalten wurden. Und sie sind bereit, dafür mehr zu zahlen. Daß Verbraucher nur auf den Preis schauen, sei ein Märchen. Dafür spricht, daß 2014 der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln bei 7,9 Milliarden Euro lag – 4,8 Prozent mehr als ein Jahr zuvor (JF 26/15).

Foto: Filiale der zu Equity Capital Management gehörenden Backkette Kamps: „Überall gibt es dieselbe Ware“