© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/15 / 04. September 2015

Das Telefon wird zum Fotolabor
Trend: Fotokünstler, Journalist und Filmemacher zu sein wird mit dem Smartphone immer einfacher
Christian Schreiber

Richard Koci Hernandez war in den USA ein gefragter Foto- und Multimediajournalist. Dann entdeckte er sein iPhone für sich. Seitdem hat er die Kamera „an den Nagel gehängt“ und ist nur noch mit seinem Telefon unterwegs. „Mein Büro“, nennt es Hernandez, der mittlerweile ein Buch über iPhone-Fotografie herausgegeben hat. „Unsere Branche wird sich verändern, aber Instagram wird die Fotografie nicht töten, genausowenig wie Twitter den Roman getötet hat“, sagt er. Für Journalisten sei die Entwicklung auf dem Smartphone-Markt dennoch essentiell, vor allem Online-Redaktionen könnten über ein schnellgeschossenes Foto direkt bedient werden: „Ich kann nicht nur Bilder machen, ich kann sie auch sofort bearbeiten. Mein Fotolabor ist also immer bei mir. Und mit zwei Klicks kann ich Bilder an die Redaktion schicken, für die ich arbeite. Oder ich kann sie online stellen und damit weltweit verbreiten. Das Telefon ist also nicht nur die Kamera, es ist auch das Labor und der Übertragungswagen“, sagte er in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit. 

Gehen wir nur von den technischen Daten aus, ist der im iPhone (oder vergleichbaren Modellen wie der Samsung-Galaxy-Serie) eingebaute Kamerasensor jedem digitalen Spiegelreflexmodell unterlegen. Trotzdem gewann ein New-York-Times-Journalist für eine iPhone-Bild-Reportage über US-Soldaten in Afghanistan einen international renommierten Fotografenpreis. Über spezielle Apps können Smartphone-Fotos mittlerweile gezielt nachbearbeitet und auf diese Weise verblüffende Ergebnisse erzielt werden. „Apps sind übrigens gar nicht so weit weg davon, wie wir früher Bilder entwickelt haben. Wir haben mit Fotopapier gespielt, mit Kontrast, mit Glanzeffekten. Fotografen waren schon immer fasziniert davon, Bilder noch besser zu machen. Apps haben auch einen gewissen Grad an Spaß zurückgebracht in die Fotografie“, erzählt iPhone-Foto-Pionier Hernandez.

Auch in Deutschland gibt es mittlerweile regelrechte Smartphone-Profis. Frank Fleschner, Redakteur beim Nachrichtenmagazin Focus, hat ein Buch mit dem Titel „Fotografieren mit dem iPhone“ veröffentlicht und gibt damit nicht nur Journalisten wertvolle Tips. „Verzichten Sie in Innenräumen so oft wie möglich auf den Blitz“, lautet eine seiner „Goldenen Regeln“. Bilder mit Blitzlicht seien in aller Regel eine Enttäuschung: „Wenn Sie zum Beispiel eine gemütliche Runde bei schummrigem Kneipenlicht festhalten wollten, werden Sie mit Erschrecken feststellen, daß Ihre Freunde auf diesen Bildern so fahl wie Vampire aussehen, die seit Tagen nichts mehr zu beißen hatten“, schreibt er und zieht einen bitteren Vergleich: „Gegen die Lichtstimmung auf derartigen Bildern, erscheinen Lampen in Buswartehallen geradezu anheimelnd.“ 

Auch der US-Starfotograf Hernandez empfiehlt seinen Lesern „Mut zur Dunkelheit“. Für ihn sei seine Kamera nichts anderes als ein drittes Auge. „Wenn es stockdunkel ist, dann sehe ich mit den Augen auch nichts. Und wenn es externe Lichtquellen gibt, die eine Szenerie erhellen, dann muß ich mein Phone so nutzen, daß das Foto wie aus dem Auge des Betrachters geschossen scheint“, erklärt er. Für ihn ist der Fotojournalismus ohnehin die „letzte Form der reinen Wahrheit“. Die Idee sei es, eine Szene so nah und so verantwortungsbewußt wie möglich wiederzugeben. 

Diese Bilder sollten dann auch so wenig wie möglich nachträglich bearbeitet werden: „Wir sollten das, was wir wirklich gesehen haben, verteidigen. Wenn wir das nicht tun, setzen wir das Vertrauen unserer Leser aufs Spiel. Was ist noch real, was nicht? Was ist ernst gemeint und was nicht mehr? Ich bin sehr dafür, daß Fotojournalisten hier eine Grenze ziehen.“

Tip: Überzählige Fotos      lieber wieder löschen

Doch das Fotografieren mit einem kleinen Smartphone  und ohne Stativ hat so seine Tücken. Darin sind sich Experten wie Focus-Journalist Fleschner oder Hernandez einig. Damit auch der „Amateur“ brauchbare Bilder schießen könne, müsse er ein paar Grundregeln beachten. Neben dem Verzicht auf das Blitzlicht sollte auch der eingebaute Zoom nur möglichst selten benutzt werden. Dabei werde ein Ausschnitt des Bildes auf die volle Auflösung hochgerechnet, worunter die Qualität erheblich leide: Besser sei es deshalb, „mit den Füßen zu zoomen“, sprich näher an das Objekt, das fotografiert werden solle, heranzutreten. Sollte dies nicht möglich sein, könne man das Foto schließlich am Computer nachbearbeiten. Für Profis sei dies allerdings keine gute Lösung, da die Auflösung geringer werde. „In einem Printprodukt können Sie ein solches Foto dann kaum noch drucken“, sagt Fleschner. Hobby-Fotografen würden generell den Fehler machen, zu lange auf ein bestimmtes Motiv zu warten. Es sei besser, mehrere Fotos von einer Situation zu machen und „den Überschuß anschließend zu löschen“, sagt Hernandez, der von der Macht der alten Gewohnheiten spricht: „Früher hatte man einen 36er Film, da ist man sparsam mit den Klicks umgegangen. Das ist im Kopf dringeblieben, dabei können wir heute ohne Kosten so viele Versuche machen, wie wir wollen.“ Aber ein gutes Foto entstehe ohnehin nur, wenn die Linse sauber sei. 

„Das ist das Wichtigste. Das iPphone ist den ganzen Tag in der Tasche und damit Schmutz und Staub ausgesetzt. Die Linse oft zu polieren, macht 50 Prozent eines guten Fotos aus“, sagt Hernandez. 





Diese Apps helfen bei der Bildbearbeitung

Auch die Standard-austattung der meisten Smartphones ermöglicht Bildbearbeitung wie Farbfilter, Ausschneiden, Drehen oder Aufhellen. Es gibt aber weitere Funktionen, die über das hinausgehen, was von Apple und Co. vorgegeben wird. Die Beispiele-Apps hier gibt es sowohl für das iPhone als auch für Geräte, die mit dem Betriebssystem Android laufen. (cs)

Die App Photo Editor (von Aviary) ist die beliebteste und meistbenutzte Foto-Anwendung. In der „schlanken“ Gratis-Variante stehen Scharf- und Weichzeichner, Fotowerkzeuge sowie zwölf Filter zur Verfügung. Die „volle“ Version gibt’s für 99 Cent.  

VSCO Cam: In der Bilder-Galerie gibt es Zugriff auf Methoden zur Foto-Nachbearbeitung. Belichtung, Farbtönung, Zuschneiden und Begradigung zählen dazu. Die App erfordert aber Geduld und Übung, gratis.

Flickr: Mit der App des Fotoportals lassen sich schnell Bilder machen und sofort mit Effekten versehen. Es besteht die Möglichkeit, Flickr mit anderen sozialen Netzwerken wie Facebook zu verbinden. Das Angebot ist kostenfrei.

Paper Camera: Für Hobby-Künstler gibt es diese App. Echtzeitfotos können direkt in Cartoon, Sketch oder Comic-Versionen umgewandelt werden. Diese App macht Spaß und ist einfach zu bedienen. Kostenfrei ist sie obendrein.