© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

Putin geht in die Offensive
Rußland, Assad und der Kalifatstaat: Als Akteur im Syrienkonflikt versetzt der Kreml den Westen zunehmend in Unruhe
Thomas Fasbender

Von einer direkten Intervention seines Landes in Syrien wollte der russische Präsident Wladimir Putin in der Vorwoche noch nicht sprechen. Dazu sei es „zu früh“, meinte er, betonte jedoch, das russische Militär sei darauf vorbereitet. „Wir wollen eine internationale Koalition bilden, die Terrorismus und Extremismus bekämpft.“

Zuvor war gemeldet worden, die russische Armee errichte in der Nähe der syrischen Hafenstadt Latakia Wohneinheiten für ein Expeditionskorps mit tausend Soldaten samt Anlagen zur Luftraumüberwachung. Ganz offiziell hatte Moskau die Schwarzmeeranrainer gebeten, russischen Flugzeugen mit Militärfracht im September den Überflug zu gestatten. 

Ereignisse in Syrien gewinnen an Dynamik 

Seit Monatsbeginn rauschen schwere Iljuschin-76 mit je 40 Tonnen Waffen und Ausrüstung über Griechenland hinweg. Im Bosporus wurden die Landungsschiffe der russischen Kriegsmarine „Nikolaj Filtschenkow“ und „Koroljew“ gesichtet, auf dem Oberdeck, unter Tarnnetzen verstaut, dreiachsige Lkw, Schützenpanzerwagen und anderes schweres Gerät. Am vergangenen Wochenende intervenierten die USA und forderten von Athen, es möge seinen Luftraum für russische Militärflieger sperren. Das Ansinnen wurde zurückgewiesen.

Die Ereignisse rund um den syrischen Bürgerkrieg haben erheblich an Dynamik gewonnen. Im Mai beschlossen die USA, jährlich 5.000 moderate syrische und irakische Kämpfer in den USA für den Kampf gegen den IS auszubilden. Die ersten 54 (Deckname: Division 30) wurden im Juli über die türkische Grenze eingeschleust. Das Kommando war ein Fehlschlag; bei Gefechten mit dem syrischen al-Qaida-Ableger, der al-Nusra-Front, wurde ein großer Teil der Gruppe getötet oder gefangengenommen. Die USA antworteten mit Luftschlägen gegen die al-Nusra-Front, die ihrerseits Rache schwor.

Seit Juli starten US-Kampfflugzeuge ihre Einsätze gegen IS-Truppen im Irak und inzwischen auch in Syrien vom türkischen Nato-Flughafen Incirlik aus. Die Türkei hat sich den Bombardements der IS-Stellungen mit eigenen Maschinen angeschlossen. Während der Kampf gegen den IS intensiver wird, geraten die Anhänger einer Absetzung Assads in Zeitnot. In einem halben Jahr, mit dem Ende der westlichen Sanktionen, erhält der Iran Zugriff auf Milliarden US-Dollar, die derzeit noch in Europa und den Vereinigten Staaten eingefroren sind. Ankara und Washington gehen davon aus, daß ein Teil davon zur Stützung des syrischen Präsidenten aufgewandt wird. Das Zeitfenster für einen Regimewechsel in Damaskus wird eng.

Was die Lage so schwierig macht, ist die Tatsache, daß sich in Syrien zwei Konflikte überlagern: der Kampf gegen den IS und der Bürgerkrieg gegen die Herrschaft des Präsidenten Baschar al-Assad. In der Auseinandersetzung mit dem radikalsunnitischen IS stehen eigentlich alle auf einer Seite: die syrische Regierung, der Iran, die Türkei, der Westen und auch Rußland. Im syrischen Bürgerkrieg hingegen unterstützen die USA, die Türkei und die Araber jene Kräfte, die auf eine Absetzung Assads hinarbeiten.

Rußland und der Iran wiederum streben eine Lösung unter Einbezug Assads an. Das von Moskau wiederholt vorgebrachte Motiv lautet, nicht noch ein säkular regiertes nahöstliches Land im Namen der Demokratie zu destabilisieren und dem islamistischen Chaos zu überantworten.

Rußland ist entschlossen, den autoritären, proschiitischen Assad an der Macht zu halten. Außenminister Sergej Lawrow betonte in der Vorwoche, Assad sei „einwandfrei legitim“ – auch wenn versucht werde, das wie bei der „Liquidierung“ Saddam Husseins und Muammar al-Gaddafis zu bestreiten. Wenn es um die Niederschlagung des barbarischen IS geht, so die Moskauer Lesart, ist der syrische Staat unter Assads Führung auch für den Westen ein besserer Partner als islamistische Freischärler – nicht zuletzt im Interesse der wenigen noch in Syrien verbliebenen Christen.

Geheimtreffen mit saudischen Ministern 

Derweil starten die Russen eine diplomatische Offensive von Iran bis Nord-afrika. Im Juli wurde ein Geheimtreffen zwischen dem saudischen Verteidigungsminister und einem hohen syrischen Militär vermittelt. Im August reiste der saudische Außenminister Adel Jabair zu seinem Amtskollegen Sergej Lawrow nach Moskau. Putin und der saudische König Salman haben gegenseitige Besuche vor dem Jahresende angekündigt. Zum Moskauer Luftfahrtsalon MAKS 2015 Ende August kamen der ägyptische Präsident al-Sisi, der VAE-Vizepräsident und der jordanische König Abdullah. Für den Ägypter Abd al-Fattah as-Sisi war es der vierte Besuch in zwei Jahren. Seit Putin dem General nach der Absetzung des Muslimbruders Mohammed Mursi die Hand reichte, haben die Russen in Kairo einen Stein im Brett. 

Sollte es ihnen gelingen, die arabische Halbinsel aus der Anti-Assad-Phalanx zu lösen, werden die verbliebenen Gegner USA und Türkei ihre Anstrengungen eher noch ausweiten. Die Entsendung russischen Militärs nach Syrien dient daher auch dem Zweck, Washington davon abzuhalten, US-Jets und -Spezialeinheiten gegen Assad-Soldaten einzusetzen.

Foto: Wladimir Putin empfängt Ägyptens Präsident Abd al-Fattah as-Sisi im Kreml: Die USA in Nahost düpieren