© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

Durstig und teuer – aber dennoch beliebt
Automesse: Die IAA im Zeichen der Pseudo-Geländewagen / Borgward soll mit chinesischer Hilfe auferstehen
Christian Schreiber

Am 11. September 1961 wurde das Konkursverfahren für Borgward eröffnet. Zuvor war die Absicht des Landes Bremen gescheitert, das finanziell angeschlagene Familienunternehmen, das nach VW, Opel, Daimler und Ford der fünftgrößte deutsche Autohersteller war, als Borgward-Werke AG weiterzuführen. Doch damit endete nicht die Bremer Automobiltradition: Heute ist das Mercedes-Benz-Werk mit über 12.700 Mitarbeitern der größte private Arbeitgeber in Bremen.

Nach 54 Jahren Zwangspause soll Borgward wiederauferstehen: Auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt wird ein neues Sport Utility Vehicle (SUV) unter dem traditionsreichen Namen präsentiert. Die höhergelegten Pkws mit Geländewagenoptik liegen groß im Trend. Voriges Jahr wurden in Deutschland 2,9 Prozent mehr Neuwagen zugelassen als 2013 – am stärksten wuchs dabei das SUV-Segment, das um sensationelle 20 Prozent zulegte. Toyota, mit dessen RAV4 vor 20 Jahren die deutsche SUV-Welle begann, wurde längst vom VW Tiguan und Nissans Qashqai abgehängt – Optik und Marketing sind wohl ausschlaggebender als Langzeitqualität. Die deutschen Hersteller wollen in den kommenden vier Jahren ihr SUV-Angebot fast verdoppeln. Ein Stück vom Kuchen möchte dabei Borgward abbekommen. In seiner Blütezeit arbeiteten mehr als 23.000 Menschen in dessen Werkshallen, aus denen zwischen 1924 und 1961 mehr als eine Million Fahrzeuge rollten.

„Jetzt wird eine der angesehensten Marken der deutschen Automobilindustrie wieder zum Leben erweckt“, freut sich Firmen-Enkel Christian Borgward. Allerdings: Die deutsche Firmenzentale befindet sich zwar in Stuttgart, produziert wird aber bei Beiqi Foton Motors und vorerst nur für den chinesischen Markt. Der Autobauer aus dem Reich der Mitte, der mit Daimler zusammen Lkws herstellt, ist eine Tochter der staatlichen Beijing Automotive Industry Holding. 2014 hat Foton die Borgward-Markenrechte erworben. Klappt der Borgward-Neustart auch in Indien und Brasilien, soll das Automobilunternehmen langfristig auch auf dem deutschen Markt wieder seßhaft werden. 

Borgward-Vorstandschef Ulrich Walker erklärte gegenüber der Automobilwoche, daß der auf der IAA präsentierte SUV bezahlbare und effiziente Technologie bieten werde. Branchenkenner sind skeptisch: „Borgward wird in Branchenkreisen nicht ernst genommen und ist auf der IAA nur eine Randnotiz“, erklärte Autoexperte Stefan Bratzel von der Fachhochschule Bergisch-Gladbach im Weser-Kurier. Das Beispiel Borgward belegt dennoch zwei Trends: Zum einen verlagern immer mehr bekannte Unternehmen ihre Produktionsstätten weg von den Herkunftsländern, zum anderen boomt der Verteilungskampf im Segment der Sport- und Nutzfahrzeuge.

Hohe Sitzposition und bessere Übersicht

Der schwedische Autobauer Volvo stand Jahrzehnte für nordische Zuverlässigkeit – unter Ford-Ägide begann 1999 der Abstieg. 2010 kaufte der chinesische Auto- und Motorradkonzern Geely die Volvo Personvagnar AB auf und pumpte mehr als sieben Milliarden Euro in die Firma. Seitdem wird nicht nur in Schweden, sondern zunehmend in China produziert. Die britische Nobelmarke Jaguar und Land Rover gehören seit 2008 zur indischen Tata-Gruppe.

Auch auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin (JF 37/15) waren erneut zahlreiche Hersteller vertreten, die nur noch historisch mit Deutschland verbunden sind. Die Fürther Grundig-Werke wurden 1984 vom niederländischen Philips-Konzern übernommen. 1998 versuchte sich ein bayerisches Kathrein-Konsortium erfolglos an Grundig – 2003 folgte die Insolvenz. 2004 kaufte der türkische Hausgerätehersteller Beko, eine Tochter der größten türkischen Holding Koç, die Reste auf.

Beko firmiert seit 2007 als Grundig Elektronik AS, die westfälischen Blomberg-Hausgerätewerke gehören schon seit 2002 zu Beko. Produziert wird in der Türkei und China – auch für den deutschen Markt. Und im Gegensatz zu Platzhirschen wie Bosch oder Samsung bietet Grundig für seine teureren Elektrogroßgeräte 70 Monate Garantie.

Das Versprechen „Made in Germany“ gilt auch in der deutschen Automobilindustrie nur noch bedingt. „Made in EU“ trifft es oft besser. Für die außereuropäischen Märkte wird ohnehin meist vor Ort produziert – was sich auch an der Produktpalette niederschlägt. Und: Die Verkaufsmarge bei SUVs ist oft doppelt so hoch wie bei vergleichbaren Kompaktwagen, Kombis oder Mini-VANs.

Der gesunkene Dieselpreis erleichtert die Kaufentscheidung für das Segment. Speziell ältere Autofahrer oder Frauen schätzen die hohe Sitzposition und bessere Übersicht. Doch die im Windkanal sperrigen und schwereren Autos sind für manche Umweltsünder auf vier großen Rädern. „SUV und Klimaschutz – der Widerspruch kann nicht größer sein“, kritisiert der Verkehrsclub Deutschland. Die bulligen Autos seien unnötig stark motorisiert und schluckten entsprechend mehr Treibstoff.

Das kollidiert auch mit EU-Richtlinien, die einen durchschnittlichen Flottenverbrauch von 5,5 Liter Benzin oder 4,9 Liter Diesel je 100 Kilometer (bzw. 130 Gramm Kohlendioxid-Ausstoß pro Kilometer) verlangen. Nach 2020 sollen es nur noch 95 Gramm (4,0 Liter Benzin/3,5 Liter Diesel) sein. Trotz Leichtbau und diverser Tricks bei der Verbrauchsermittlung werden VW Tiguan, Mercedes GLE, BMW X5 oder Audi Q7 auch in fünf Jahren physikalisch bedingt mehr verbrauchen als die entsprechenden Kombilimousinen.

Werden nicht zugleich Kleinstwagen wie VW Up oder Elektroautos à la BMW i3 als CO2-Kompensation für die SUVs abgesetzt, drohen den Konzernen Strafzahlungen an die EU. Der Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer rechnet dennoch in fünf Jahren mit einer Million neuzugelassener SUVs in Deutschland. Dabei hatte Angela Merkel angekündigt, daß 2020 eine Million E-Autos auf deutschen Straßen rollen.

Internationale Automobil-Ausstellung vom 17. bis 27. September in Frankfurt/Main: Internationale Automobil-Ausstellung

Foto: IAA-Messeimpressionen mit echtem Mercedes-Geländewagen: Leichtbau und Tricks bei der Verbrauchsermittlung sollen SUVs grüner machen