© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

„Was einmal weg ist, ist für immer weg“
Thüringen: Gegen die Kultursparpläne der linken Landesregierung regt sich massiver Widerstand
Paul Leonhard

Ein Vierteljahrhundert waren die Thüringer Linkssozialisten ein verläßlicher Partner für die Kulturschaffenden des Landes. Plante die CDU-Landesregierung aus Finanznot Einschnitte in die reiche Kulturlandschaft des Freistaates, reihten sich die ehemaligen Einheitssozialisten prompt in der ersten Reihe der Protestler ein. Seit die Linkssozialisten zusammen mit Sozialdemokraten und Grünen das Land regieren, ist das Geschichte.

Diesmal ist es die Regierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), die sparen muß und sich dafür nach Berichten Thüringer Zeitungen das Deutsche Nationaltheater Weimar, die Thüringen-Philharmonie Gotha, das Orchester in Erfurt und die Landeskapelle Eisenach ausgesucht hat. Während die Landeskapelle ganz aufgelöst werden soll, würde bei einer Umsetzung der Pläne die Philharmonie mit dem Orchester fusionieren und verkleinert werden.

Das Nationaltheater Weimar soll ab 2017 seine Opernsparte verlieren, dafür das Theater Erfurt zur Staats-oper aufgewertet und seine Operninszenierungen dann auch in Weimar aufgeführt werden. Das Theater Altenburg-Gera wird als Fünf-Sparten-Haus erhalten bleiben, muß aber 20 Stellen im Musikbereich abbauen und mit der Philharmonie Jena enger zusammenarbeiten. Überhaupt sollen alle mehr miteinander kooperieren.

Stellenabbau, Fusionen, Schließungen

Derartige Abbaupläne hatten auch schon andere Regierungen in Thüringen, waren aber bisher stets am Protest der betroffenen Kommunen, Bürger und Kulturschaffenden gescheitert. Auch diesmal drohen Künstlergewerkschaften wie die Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer (VdO), die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) und die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) mit massivem Widerstand.

Die Abbau- und Fusionsideen von Minister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) seien inakzeptabel und die Art und Weise, wie hier mit Thüringer Künstlern und ihren Verbänden umgegangen werde, einfach unwürdig, sagte DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens: „Bereits seit neun Monaten hatten wir der Thüringer Staatskanzlei einen Dialog zur Lage und zur Zukunft der Orchester und Theater angeboten. Und nun soll man als Berufsverband einfach vor vollendete Tatsachen gesetzt werden. Das werden wir und die Orchester im Land nicht einfach hinnehmen.“

Seit der Wende wurden in Thüringen mehr als 400 von ehemals über 1.000 Orchesterstellen abgebaut. Es gab fünf Fusionen und drei Schließungen. Nach dem jetzt bekanntgewordenen Szenario sollen weitere 80 Stellen wegfallen und zwei Orchester geschlossen werden. „Wir alle wissen: Was einmal weg ist, ist für immer weg“, heißt es in einer Erklärung der Thüringer Orchesterkonferenz, einem Zusammenschluß der zehn Thüringer Orchester: „Die Abrißbirne ist wohl kaum das passende Werkzeug, um ein Haus zu sanieren.“ Es werde noch mehr zerschlagen, aber letztlich wenig gespart. Die meisten Orchester in Thüringen arbeiten seit langem mit Haustarifverträgen oder wie in Eisenach seit elf Jahren ohne Tarif. Mit dem Verzicht auf Teile des Gehalts sorgen die Musiker seit Jahren dafür, daß ihre Orchester erhalten bleiben.

„Wenn man den Ruf Thüringens als Kulturland nicht endgültig ramponieren will, muß mit dem Abbau doch irgendwann einmal Schluß sein“, warnt Mertens und fordert „einen echten Sachdialog mit den Künstlern und ihren Verbänden“. Nur dadurch könnte dem bevorstehenden breiten Widerstand der Betroffenen und der Bürger gegen den erneuten Angriff auf die Orchester- und Theaterlandschaft begegnet werden. Auch die betroffenen Kommunen und Landkreise wollen sich wehren. „Stadt und Landkreis werden bei einem Zusammenschluß mit Erfurt das Orchester nur unterstützen, wenn der Sitz in Gotha verbleibt“, sagte der Gothaer Oberbürgermeister Knut Kreuch (SPD) der Thüringischen Landeszeitung. Eine Spartenschließung wäre mit Blick auf das Lutherjahr 2017 ein falsches Signal, findet Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Linke).

An den Koalitionsvertrag von Linkspartei, SPD und Grünen erinnerten Jörg Löwer, Präsident der

GDBA, und Gerrit Wedel, stellvertretender Geschäftsführer der VdO, in einer gemeinsamen Erklärung. Die Regierung hatte sich als Ziel gesetzt, den „Erhalt aller Thüringer Theater und Orchester in ihrer bestehenden Form, Struktur und Bandbreite“ anzustreben und „gemeinsam mit den kommunalen Trägern für mehr Planungssicherheit und nachhaltige Qualitätssicherung bei Theatern und Orchestern langfristige Finanzierungsvereinbarungen abschließen“. Jetzt aber deute sich an, daß sich die Linksregierung in Thüringen „in die unselige Tradition des Kulturabbaus mit der Brechstange in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern“ stelle.

Noch vor fünf Jahren hatte die Linke derartige Absichten als „schleichende kulturelle Verödung“ bezeichnet, die es zu stoppen gelte. Die Theater und Orchester müßten finanziell so ausgestattet werden, daß sie „zu hoher künstlerischer Qualität in der Lage sind“, sagte damals die Landtagsabgeordnete Birgit Klaubert. Heute schweigt die Linkssozialistin. Sie ist Ministerin. Für Bildung.