© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Pankraz,
der Teufel und der gefallene Erzengel

So tönte einst Goethe in seinen „Zahmen Xenien“ ganz ernsthaft, ganz ohne Augenzwinkern: „Ich kann mich nicht bereden lassen, / Macht mir den Teufel nur nicht klein! / Ein Kerl, den alle Menschen hassen, / Der muß was sein!“ Entsprechend positiv ist bekanntlich die Rolle, die der Dichter seinem Mephisto im „Faust“ zuweist. Er ist „die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“, eine Schöpferkraft par excellence also, ohne die es die Welt in all ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit gar nicht gäbe.
Jetzt ist ein Buch erschienen,  das diese Perspektive resolut in Frage stellt: Kurt Flaschs „Der Teufel und seine Engel. Die neue Biographie“ (C.H. Beck Verlag, München, 462. S., 26,95 Euro). Der Teufel wird in dem Opus derart kleingemacht, daß am Ende fast nichts mehr von ihm übrigbleibt, allenfalls ein bißchen Märchenbilderbuch, an dem man seinen Spaß haben kann. Flasch ist ja nicht nur ein hochgelehrter Christologe und Religionshistoriker, sondern auch ein ausgezeichneter Schriftsteller, mit dem gut auszukommen ist, selbst wenn man keiner einzigen seiner Konklusionen zustimmen mag.
Am ärgerlichsten empfand Pankraz bei der Lektüre, daß Flasch sich bei seinen Teufelsbeschreibungen faktisch auf das christliche Abendland beschränkt und daß er dadurch das Problem der Verbildlichung des Bösen, das ein Problem von Religiosität überhaupt ist, gar nicht richtig in den Blick bekommt.

Was ist Religion? Wirklich nur reine Lehre, Wort, Sprache, Schriftauslegung, wie es der Protestantismus und, noch viel mehr, der Islam nahelegen? Oder gehört notwendig die Verbildlichung metaphysischer Kräfte dazu, ja, ist das Bild nicht die wahre Pointe der Religion, die sie von bloßer Philosophie und Weisheitslehre fundamental unterscheidet? Und liegt die Verbildlichung speziell des Bösen nicht besonders nahe, da es gilt, vor ihm jederzeit auf der Hut zu sein, es so schnell wie möglich zu erkennen?
Der Buddhismus wird vielerorts als eine hochgelehrte Mönchsreligion beschrieben, in der nicht einmal Gott vorkommt, nur diverse Bodhisattvas. Doch an Verbildlichungen des Bösen mangelt es in ihm trotzdem nicht. Jeder Blick in einen buddhistischen Tempel informiert einen darüber, in welchem Ausmaß die mönchische Zurückhaltung von spontaner „Volksreligion“ geradezu überrannt wird. Es wimmelt dort von Dämonen und Hexen in Gestalt von grotesken Tier-Mensch-Kombinationen, schrecklichen Fratzen, geifernden Lefzen. Das Bild triumphiert.
Im mittelalterlichen Christentum war es im Grunde kaum anders. Während die Scholastik der Mönche und Professoren das Böse in immer matterer, völlig abstrakter Form behandelte (man denke an Thomas von Aquin, für den es lediglich „absentia“ oder „privatio“ war), gewann es in der gottesdienstlichen Praxis und in der Dichtung (siehe Dantes Höllenbeschreibungen) immer bildhaftere Kontur und gipfelte in der Gestalt jenes Höllenfürsten und Teufels, wie wir ihn kennen: zynische Visage, Hörner, dicht behaarter Unterkörper, Eselsschwanz, Pferdehuf, mit einem Dreizack in der groben Faust.
Es handelte sich bei dieser Ausstattung keineswegs um genuin christliche Erfindungen, sondern das meiste war antikes Erbe. Der Hirtengott Pan mit seiner Panflöte lieferte Einzelteile, andere kamen von den unentwegt geilen Satyrn aus dem Gefolge des Dionysos, der Dreizack als Hauptwaffe war vom Meeresgott Neptun übernommen. Um es zu wiederholen: Die Verbildlichung des Bösen war nichts weniger als eine christliche Erfindung, ihre Grundgestalten wurden vielmehr von Anfang an durch die Zeiten durchgereicht. Denn Verbildlichung des Bösen ist die Voraussetzung jeglicher Religiosität.

Genau aus diesem Grund wurden ja oftmals auch lebendige, historische Menschengestalten zu Inkarnationen des absolut Bösen aufgeblasen. So etwa schon im dreizehnten Jahrhundert der große Staufer Kaiser Friedrich II., der ein erklärter Freigeist und Spötter war und über den der damalige Papst Innozenz IV. dekredierte: „So sieht der Teufel aus!“ Später in der Reformation ließen die Lutheraner Tausende von Flugzetteln mit dem Konterfei des römischen Papstes Leo X. drucken mit der Unterschrift: „Das ist der Teufel!“
Heute im aufgeklärten Westen gilt Adolf Hitler als die Inkarnation des absolut Bösen. Zwar ist er durchaus Gegenstand anspruchsvoller historischer Forschungen, es werden Biographien über ihn verfaßt und analytische Studien, aber jenseits dieser wissenschaftlichen Vergegenwärtigungen – und mittlerweile völlig unabhängig von ihnen – existiert ein Volksglaube (oder besser wohl: Medienglaube), der ihn als reinen Überdämon, eben als Teufel, erfaßt, über den man nicht mehr „normal“ sprechen kann, sondern nur mehr im Gestus metaphysischen Entsetzens.
Das Buch von Flasch liefert keine Handhabe für eine Rückkehr zur wissenschaftlichen Normalität, schon seines Titels wegen: „Der Teufel und seine Engel“. Wieso denn „Engel“? Der Teufel hat keine Engel, aber er war einstmals selbst ein Engel, sogar Erzengel, Gottes erklärter Liebling und Pflichthelfer. Er war der „Urzufall“ (Schelling), welcher Gott (oder dem Anfangsprinzip oder dem Nichts) zustieß. Vor dem Urknall kam der Urzufall.
Gott langweilte sich gewissermaßen in seiner erhabenen Einsamkeit, und so erschuf er die Welt in all ihrer bildhaften Schönheit, aber auch in ihrer Schiedlichkeit und Übelhaltigkeit. Gottes Liebling und Erzengel mußte von ihm „abfallen“, um die Welt in Gang zu setzen. Er mußte das Böse wollen, um letztlich dem Guten zum Sieg zu verhelfen. Und er mußte Bild werden, damit die Menschen erkennen konnten, wem es zu widerstehen galt. Deshalb gehört sein Bild zu jeder Art von Religion.
Goethe wußte das und schrieb seinen „Faust“: „Es ist gar hübsch, von einem großen Herrn, / so menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.“
Kurt Flasch weiß es leider nicht und schrieb dem Teufel nur eine neue Biographie.