© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Die Verwirrung des Geistes
Massenwahn: Der antifaschistische Machtdiskurs ist zur Staatsideologie aufgestiegen
Thorsten Hinz

Die bundesdeutschen Reaktionen auf die Völkerwanderung kann man unmöglich mit den Kategorien des Politischen erfassen. Zumindest dann nicht, wenn man unter Politik das Bemühen eines Staates versteht, die Selbstbestimmung zu wahren und sich als politisches Subjekt zu behaupten. Von außen, vom Standpunkt einer globalistischen Neue-Welt-Ordnung aus gesehen, scheint Deutschlands Regression zum politischen Objekt hingegen sinnvoll zu sein und seine Funktionseliten dem politischen Kalkül einer höheren Gewalt zu folgen. Weil mit der politischen und rechtlichen auch die geistige Regression im Land einhergeht, wird diese naheliegende Möglichkeit überhaupt nicht reflektiert.
Beschränken wir uns auf die Innenansicht des Geschehens. Als Reaktion auf den Ansturm grassiert ein Massenwahn, eine allgemeine Geistesverwirrung, die zur Selbstpreisgabe führt und Deutschland – wie Karlheinz Weißmann hier kürzlich schrieb (JF 36/15) – „das eigene Verschwinden beschleunigen“ läßt.  Das Verhängnis wird nicht nur erduldet, sondern wie eine Erlösung bejubelt.


Gewiß, der Wahn tobt primär in den zu Propaganda-Organen verkommenen Medien und in den Verlautbarungen der Politiker. Insofern handelt es sich um eine Induktion von oben, wobei die Medien die Transmissionsriemen in die Bevölkerung bilden. Doch das ist nur die Hälfte der Wahrheit, denn von einer klaren Scheidung zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung kann keine Rede sein.


Renitenz ist nur aus einigen Gegenden der Ex-DDR zu vermelden, während der Westen von einer Schockstarre gelähmt wird. Und die Jubler rekrutieren sich keineswegs nur aus den Damenkränzchen der Pfarrgemeinden, aus Überzeugungstätern und Daueraktivisten des Gewerkschaftsmilieus oder kinderlosen Akademiker-Rentnern, die in der Flüchtlingshilfe einen Sinnersatz suchen. Es gibt auch die nett anzuschauenden Mädchen, die auf Bahnsteigen „Refugees welcome“-Schilder schwenken, ohne zu wissen, an wen sie sich überhaupt wenden, und die Eltern, die auf der Einschulungsfeier ihrer Kleinen die Ankündigung des Direktors beklatschen, daß an der längst am materiellen und personellen Limit arbeitenden Schule zusätzliche „Willkommensklassen“ eingerichtet werden. Jegliche soziale Intelligenz und Überlebensinstinkte scheinen ausgeschaltet zu sein.


Fast alle europäischen Länder tun sich schwer damit, zu einem rationalen Umgang mit der neuen Völkerwanderung zu finden, doch Deutschland ist das Kernland des Irreseins. Der britische Politologe Anthony Glees meinte im Deutschlandfunk, es gebärde sich wie ein „Hippie-Staat, der nur von Gefühlen geleitet wird“, so daß „viele meinen, die Deutschen haben hier ihr Gehirn verloren“.

Jeder Einwand wird mit dem Nazi-Vorwurf gekontert

Dazu hat es keiner Machtergreifung schnauz- oder schnurrbärtiger Diktatoren bedurft. Die staatlichen Institutionen arbeiten weiter nach Vorschrift, es werden Wahlen ausgeschrieben, und die sogenannte Zivilgesellschaft ist aktiv und wachsam wie noch nie. Gerade sie bildet ein straff formiertes, effektives System, das den Kollektivwahn erst voll entfaltet.


Warum regen sich keine Immunkräfte dagegen? Ein einziger, allerdings zentraler Aspekt sei hervorgehoben. Wie so oft liefert der Nazi-Vorwurf, mit dem jeder Einwand gegen die Wahnsinns-Praxis gekontert wird, dazu den untrüglichen Hinweis. Dieser Vorwurf ist ein erprobtes Verfahren, das selbst diejenigen einschüchtert, die es durchschauen und gegen es aufzubegehren versuchen. Redewendungen wie „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“, oder „Ich bin zwar kein Nazi, aber ... !“, zeugen von der Furcht vor dem Nazi-Stigma, die das öffentliche Leben durchseucht. Sie erinnern an die „Halten zu Gnaden!“-Formel, mit welcher der Stadtmusikus Miller in Schillers „Kabale und Liebe“ seinen Widerspruch gegen den feudalen Minister gleichsam entschuldigt.


Der Nazi-Vorwurf ist die vergiftete Speerspitze des inzwischen zur Staatsideologie aufgestiegenen antifaschistischen Machtdiskurses. Er versetzt die Bürger in eine geistige und politische Untertanen-Position und erzeugt eine entsprechende Mentalität. Er ist ein Gefängnis, das auch denen – in diesem Fall: Politikern und Journalisten – die Freiheit nimmt, die sich seiner bedienen.  Dieser Machtdiskurs wurde langfristig implementiert. Angefeuert durch die Dynamik der Ereignisse erzeugt er nun einen Massenwahn.


Über dieses Phänomen wurde, beginnend mit Gustave Le Bons „Psychologie der Massen“, viel nachgedacht und geschrieben, vor allem im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. Der österreichische Schriftsteller und Philosoph Hermann Broch, der im US-Exil eine umfangreiche „Massenwahntheorie“ ausarbeitete, sah den Ausgangspunkt in der Angst vor einer immer weniger durchschaubaren Wirklichkeit, die zu Realitätsverweigerung, irrationalen Erlösungshoffnungen, magischem Denken und daraus folgenden Ersatzhandlungen führt. Broch machte sich aber auch Gedanken über die Heilung („Bekehrung“) vom Massenwahn, die über mehrere Stufen erfolgen sollte, beginnend beim Gnadenerweis für die vom Wahn Befallenen und endend beim Verbot und der Tabuisierung der Wahnideen. Für Broch, den idealistischen Streiter für Vernunft und Freiheit, stand außer Frage, daß eine „rationale Verständigung im Zentrum des nicht-religiösen, das heißt säkularisierten Bekehrungswerkes“ stehen müsse.


Das politisch Konkrete, insbesondere die internationale Machtpolitik, blieb in seinem Entwurf jedoch unberücksichtigt. Die Möglichkeit, daß ein Massenwahn, statt geheilt zu werden, von seinen Besiegern lediglich sediert, eingehegt, kontrolliert, mit neuem Vorzeichen versehen und bei Bedarf aktiviert werden könnte, um das wahnbefallene Kollektiv in geistiger und politischer Abhängigkeit zu halten, lag für ihn außerhalb des Denkbaren.


Genau das aber war Inhalt und Ergebnis der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Umerziehung beziehungsweise „Charakterwäsche“ (Caspar von Schrenck-Notzing) der Deutschen. Sie hat die „rationale Verständigung“ über den nationalsozialistischen Massenwahn – zu der auch seine Historisierung gehören müßte – nachhaltig blockiert und eine antifaschistische Fixierung auf das Dritte Reich zum Gesetz erhoben. Bereits die Zwangsfixierung als solche ist wahnhaft, und die Annahme, das Gegenteil des besiegten Wahns sei per se gut und vernünftig, potenziert den Zustand geistiger Umnachtung.


Die nachgewachsenen Funktionseliten sind selber in diesem Sinne konditioniert worden. Zugleich handelt es sich um die ideologische Basis ihrer Macht. Die chronischen Schuldgefühle und das Bewußtsein nationalen Unwerts, die sie verbreiten, führen zu kollektiver Fehlwahrnehmung und Handlungsschwäche, die nun, in der Stunde der Belastung, in eine wahnhafte, offen selbstzerstörerische Massenbewegung einmünden.

Die Welt retten als Erlösungsprojekt

Im Dritten Reich konzentrierte der Wahn sich in dem Glauben, man müsse, um Deutschland zu retten, nur recht viele Juden über den Jordan schicken. Die Bundesrepublik – laut Verfassungsgericht als „Gegenentwurf“ zum NS-Regime konzipiert – will möglichst viele arme Teufel herholen, um die Welt zu retten, und die einzigen, die den Erfolg dieses säkularen Erlösungsprojekts – das für Deutschland ein Auflösungs- beziehungsweise Selbstmordprojekt bedeutet – behindern, seien die „Nazis“ respektive Rechten, weshalb der Kampf gegen sie, gut trotzkistisch, permanent verschärft werden müsse.


Das Land ist geistig und praktisch paralysiert. Eine Elite, die den Namen verdient, ist nirgends zu sehen. Es ist sinnlos, sich länger den vielen schiefen Vergleichen, falschen Analogien und Verzerrungen zu widmen, mit denen Politiker und Journalisten hausieren gehen. Die Wahnidee, die in die Massen getragen wurde, hat sich zum Wahnsystem ausgewachsen.


Schon lange wittern Opportunisten, Denunzianten, Fanatiker, auch wirkliche Psychopathen im Windschatten der organisierten Verrücktheit Morgenluft. Sollte sie weiter eskalieren, ist es naheliegend, daß endlich regelrechte Verbrechernaturen sich frei fühlen, unter der Maske des besorgten Demokraten und engagierten Humanisten ihre Eigenheiten auszuleben. Auch dafür gibt es in der Geschichte – und weiß Gott nicht nur in der deutschen – mahnende Beispiele.

Bild: Mit Willkommen-Plakaten und Applaus sind am 6. September im Dortmunder Hauptbahnhof mehr als 1.000 „Flüchtlinge“ begrüßt worden: Jegliche soziale Intelligenz und Überlebensinstinkte scheinen ausgeschaltet zu sein.