© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

In diesem Monat beginnt in den Opernhäusern landauf, landab die neue Spielzeit 2015/2016. Allerorten stehen neben mehr oder weniger bewährten Repertoirestücken zahlreiche Neuinszenierungen auf dem Programm, die das Publikum locken sollen. Der gewiefte Operngänger wartet jedoch erst einmal ab. Insbesondere wer sich nicht über die Auswüchse des immer noch hier und da sein Unwesen treibenden Regietheaters ärgern will, ist gut beraten, sich vorab genau zu informieren. Am besten wartet man auf erste Szenenfotos oder Videotrailer, liest Besprechungen oder Interviews. Beispielsweise das in dem Magazin der Deutschen Oper Berlin mit dem Regisseur der Neuinszenierung von Verdis „Aida“, die im November Premiere hat. Benedikt von Peter, so heißt der 38jährige Regisseur, erklärt darin, er halte die Aussage der im alten Ägypten zur Zeit der Pharaonen spielenden Oper über die Machtstrukturen und das Individuum für „sehr prekär“. Das könne der alte Verdi sagen, „ich persönlich finde diese Aussage nicht gut“. Benedikt von Peters „Raumtheater“-Inszenierung will das Publikum „mit etwas Neuem“ konfrontieren. Klingt alles verdächtig danach, daß sich hier ein Regisseur wieder einmal wichtiger nimmt als das Stück.

Ein Regisseur nimmt sich wieder einmal wichtiger als das Stück.

Beklemmende Lektüre: Jean Raspails Roman „Das Heerlager der Heiligen“, jene im französischen Original erstmals vor vierzig Jahren erschienene Dystopie vom Untergang des abendländisch geprägten Europas durch Migrantenströme, die sich in diesen Wochen zu erfüllen droht. Erschreckend, mit welcher prophetischen Gabe Raspail Charaktereigenschaften und Verhaltensmuster der Funktionseliten in Politik, Medien und Kirchen sowie der sogenannten Zivilgesellschaft beschreibt. Kostprobe: „Es trifft nicht zu, daß die Nachricht vom Aufbruch der Flotte die westliche Welt von Anfang an beunruhigt hätte. Zunächst war das genaue Gegenteil der Fall. Überall tauchten gebügelte Silberzungen auf, deren Hirne bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine süße Sahne ejakulierten, mit der sie alles verklebten, was in ihre Reichweite kann. (…) Wenn man die Mechanismen der öffentlichen Meinung in der westlichen Welt begreifen will, dann sollte man nicht vergessen, daß sie alle Dinge unter dem Gesichtspunkt des Entertainments betrachtet und nicht an den Ernstfall glaubt. Das gilt für die Einwandererflotte ebenso wie für jedes andere bedeutende und fremdartige Phänomen. Je größer der Informationsfluß, desto bodenloser die Ignoranz, desto lauter die Reaktionen, desto krasser die Eitelkeit der Debattierenden.“