© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Putins Trumpf
Syrien: Rußland wird alles daransetzen, einen „regime change“ zu verhindern
Michael Wiesberg

Auf dem falschen Fuß erwischt: So könnte man die überraschte Reaktion der Amerikaner auf die jüngste Syrien-Initiative des russischen Präsidenten Putin umschreiben. Moskau hatte durchblicken lassen, daß man in Erwägung ziehe, der Bitte des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad nach Entsendung von Truppen nachzukommen. Ein russischer Regierungssprecher stellte jedoch klar, daß dies vorerst eine „hypothetische Frage“ sei. Allerdings hat Rußland in jüngster Zeit Assad neue moderne Waffen geliefert; russische Eliteeinheiten sollen nach amerikanischen Angaben überdies in der syrischen Hafenstadt Latakia einen Luftwaffenstützpunkt ausbauen. Putin rief weiter zu einer internationalen Koalition zur Bekämpfung des „Islamischen Staates“ (IS) auf, an dem auch die syrische Armee beteiligt werden soll. 

US-Außenminister John Kerry beeilte sich, seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow auszurichten, die Militärhilfe für Assad drohe den Konflikt noch zu verschärfen. Die Vereinigten Staaten versuchten dennoch auszuloten, so Kerry, wo eine gemeinsame Basis mit Rußland bestehe. Das sind vage Auskünfte; es steht deshalb zu befürchten, daß das „gemeinsame Ausloten“ einmal mehr im Sand verläuft, weil die Positionen zu unterschiedlich sind. Die Amerikaner wollen von ihrer Forderung nach einem „regime change“ in Syrien nicht abrücken; dieser vollzieht sich allerdings nicht in ihrem Sinne, ist doch der IS dabei, in der Region einen Terrorstaat zu etablieren, der auch für den Westen eine veritable Bedrohung darstellt. Washington hat dieser Entwicklung bisher wenig entgegengesetzt, sieht man von den Nadelstichen in Form von effektlosen Luftangriffen gegen IS-Stellungen und der halbherzigen Unterstützung angeblich „moderater“ syrischer Rebellengruppen einmal ab. 

Putins Initiative wird durch die Wirren beflügelt, in denen sich die EU befindet, die mit einer wahren Invasion von „Schutzsuchenden“, darunter auch vielen Syrern, konfrontiert ist. Gleichzeitig sieht die Türkei mit ihrer neo-osmanischen Doppelspitze Recep Tayyip Erdogan und Ahmet Davutoglu die Chance gekommen, einmal wieder gegen „terroristische“ Kurden zu Felde zu ziehen, anstatt den IS zu bekämpfen. Die Kurden werden nicht müde, eine aktive Unterstützung des IS durch die Türkei zu behaupten. So erklärte die Parteivorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Figen Yüksekdag, „Zeugenaussagen und Dokumente über die Waffenlieferungen“ zu besitzen, die von der Türkei an den IS getätigt worden seien. Es gebe, so die HDP-Politikerin, „eine strategische und ideologische Nähe zwischen der türkischen Regierung und dem IS“. 

Putin wird von der manifesten Gefahr eines völligen Bedeutungsverlustes Moskaus in der Region getrieben: Rußland hat hier durch die westliche Interventionspolitik in den letzten Jahren einen Großteil seiner Verbündeten verloren; selbst der Iran hat sich durch das Nuklearabkommen mit Washington an den Westen angenähert. Immerhin hat Teheran signalisiert, nach Gesprächen mit Moskau in den nächsten Tagen einen Plan zur Lösung des Syrien-Konfliktes vorzulegen. Das Assad-Regime ist damit eine der letzten Bastionen, über die Putin noch verfügt. Moskau wird alles daransetzen, in Syrien einen neuerlichen „regime change“ zu verhindern. Militärexperten zweifeln indes an der militärischen Stärke Rußlands und sind überzeugt, daß Rußland bestenfalls „symbolische“ Kontingente abstellen könne. 

Dazu kommt, daß sich Deutschland gerade anschickt, das seinige dazu beizutragen, dem vom Westen zum Gottseibeiuns aufgebauten „Schlächter“ Assad endlich den Garaus zu machen. Hierfür reichte eine knappe Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge via Twitter am 25. August mit dem Inhalt, daß syrische Flüchtlinge nicht abgeschoben werden. Seitdem strömen etliche wehrfähige junge, bestens vernetzte syrische Männer in das „gelobte Land“ Deutschland, anstatt in ihrer Heimat gegen den IS zu kämpfen oder sich am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen. Die FAZ stellte bereits mit Befriedigung fest, daß Assad „die Männer ausgingen“, wofür sie indes vorrangig unfähige oder korrupte Kommandeure der syrischen Armee verantwortlich machte. Wenn man so will, ist diese Twitter-Meldung eine besonders gewiefte Strategie, die Bindungen der Syrer zu ihrem Verbündeten Rußland zu kappen. Die deutsche „Willkommenskultur“, die in Syrien auf einen „regime change“ durch Entvölkerung hinausläuft, erweist sich damit als effektiver als alle Sanktionen oder das Sponsoring dubioser Rebellengruppen, von denen selbst die öffentlich-rechtliche ARD einräumen mußte, daß sie sich, wenn es nötig sei, „mit den Al Qaida-Kämpfern der Al-Nusra-Front“ verbündeten. 

Es gehört keine große Prophetie dazu, um zu erkennen, daß das politische Vakuum, das bei einem Sturz von Assad entstünde, entweder vom IS gefüllt wird oder auf libysche Verhältnisse hinausläuft. Daß der Westen mit dem Syrischen Nationalrat, der für sich reklamiert, eine Art Exilregierung zu bilden, noch nicht einmal eine halbwegs akzeptierte Schattenregierung präsentieren kann, die an Stelle Assads treten könnte, unterstreicht diese Wahrnehmung. 

Der „Menschenrechts-Diskurs“, der vom Westen gern als Waffe in geopolitischen Auseinandersetzungen eingesetzt wird, kann nicht vernebeln, daß es in Syrien primär darum geht, den Iran und Rußland als Machtfaktoren im Mittleren Osten zu isolieren. Hier liegt ein wichtiger Grund für die „Flüchtlingskrise“. Dafür nimmt man sogar die Destabilisierung des Mittleren Ostens in Kauf, vor deren Hintergrund die „Traumata“, die Syriens Bevölkerung durch die Untaten des Assad-Regimes erleidet, fast verblassen.