© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

„Argumente der Liebe“
„Marsch für das Leben“: Tausende Menschen demonstrieren in Berlin unter dem Schutz der Polizei gegen Abtreibungen
Lion Edler

Wenn es um das Lebensrecht von ungeborenen Kindern geht, macht Martin Lohmann keine Kompromisse. „Es gibt kein Recht auf Töten“, sagt der Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht (BVL), „es gibt aber ein Menschenrecht auf Leben!“ Lohmann, der vor einigen Jahren unter anderem wegen der Abtreibungspolitik aus der CDU austrat, steht auf einer Bühne vor dem Kanzleramt. Er hält die Eröffnungsrede beim „Marsch für das Leben“, der alljährlich in Berlin gegen Abtreibungen stattfindet. 

Etwa 5.000 Demonstranten sind in diesem Jahr nach Polizeiangaben gekommen – die Initiatoren des  Marsches sprechen sogar von etwa 7.000 Personen. Dazu kamen einige hundert Gegendemonstranten aus dem linksextremen Spektrum – in den Vorjahren waren sie teilweise gewalttätig gegen die Abtreibungskritiker vorgegangen.

Kritik an Gegendemonstranten

Für Lohmann geht es aber nicht nur um Abtreibungen, sondern auch um Kritik an der Präimplantationsdiagnostik (PID) und an der Sterbehilfe. Der Journalist betrachtet es als Schande, „wenn Alte Angst um ihr Leben haben müssen und die Euthanasie wieder da ist in Europa“. Doch besonders die Kritik an der Abtreibung bringt ihm den Vorwurf des Radikalismus ein. „Fundamentalismus ist bei uns nicht willkommen“, sagt Lohmann dazu, „willkommen hingegen sind die Argumente des Lebens und der Liebe.“ Die Befürworter von Abtreibungen seien noch in einem „vorwissenschaftlichen Weltbild“ verhaftet. Daher wüßten sie noch nicht, „daß das menschliche Leben mit der Zeugung beginnt“. Wer das leugne, der sei „im Mittelalter hängengeblieben“.

Auf dieses Mittelalter treffen die überwiegend christlichen Demonstranten an der Kreuzung Charlottenstraße/Unter den Linden. Eine bizarre Koalition aus Feministen, Anarchisten und Kommunisten hat dort sein Lager aufgeschlagen. Mit Kostümen verkleidet, brüllen sie die Abtreibungskritiker an, erheben ihre Mittelfinger und skandieren ihre altbekannten Parolen: „Eure Priester sind alle pädophil!“, „Hätt‘ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben“, „Die Deutschen sterben aus – wir klatschen laut Applaus“. Während beim Protestmarsch Christen neben Agnostikern marschieren, scheint es der Gegenseite vor allem um die Schmähung von Religiosität zu gehen. „Religion abtreiben!“, steht auf dem Plakat von einer älteren Frau. Ein anderer hält ein umgedrehtes christliches Kreuz in die Höhe. Zwischendurch muß der Demonstrationszug lange Pausen einlegen, weil Gegendemonstranten die Marschroute blockieren – die taz hatte sich auf ihrer Facebook-Seite wohlwollend über den Aufruf zur Blockade geäußert. „Wer das Demonstrationsrecht blockieren will, ist weder demokratisch noch friedlich!“, sagte Lohmann unter großem Jubel.

Unbeeindruckt von den linken Pöbeleien demonstriert Eva Kotsch. Die 22 Jahre alte Frau ist aus dem nordrhein-westfälischen Detmold angereist, um sich am Marsch zu beteiligen. „Babys welcome“, steht auf ihrem Schild – für einen Gegendemonstranten ist das bereits ein „widerlicher Slogan“. Diese Gegenseite hätte  „sehr viele Vorurteile gegenüber uns“, sagt Kotsch. So sei sie in vergangenen Jahren mit Kondomen beworfen worden, obwohl sie gar nichts gegen Verhütung habe. Die Abtreibungsgesetze müßten zumindest in bezug auf Behinderte geändert werden. Ihre Schwester Héloise stimmt zu. „Wer hat denn gesagt, daß Behinderte unwertes Leben sind?“ fragte die 19jährige mit Blick auf die Gegendemonstranten, „das war Hitler!“

Das hält die Linken freilich nicht davon ab, sich als besonders wackere Antifaschisten zu inszenieren. „Stalingrad, Stalingrad, jede Sekunde ein Nazisoldat!“ brüllt ein hysterischer junger Mann mit Sonnenbrille, der auf seiner Mütze einen Roten Stern zur Schau stellt. Spätestens nach solchen Sprüchen dürften sich viele Marschierer fragen, was die Gegner ihnen eigentlich mitteilen wollen. Selbst den feministischen jungen Männern, die geschminkt und in Damenstrumpfhosen gegen die Christen demonstrieren, scheint der hysterische Genosse etwas peinlich zu sein.

„Mir tun sie wirklich leid!“ sagt die 19 Jahre alte Katharina über die Gegendemonstranten, „glücklich sehen die nicht aus.“ Die Studentin, die aus dem Süden von München angereist ist, will das Argument nicht gelten lassen, daß bei der Abtreibung jeder über seinen Körper bestimmen dürfe. „Es ist eben nicht der Körper von der Frau, sondern es ist ein Extra-Körper!“ Auch die neben ihr marschierende Corinna ist ähnlicher Meinung. „Ich find, daß kein Mensch das Recht hat, einen anderen umzubringen!“, betont die 22jährige. 

Um diese Meinungsäußerung zu schützen, mußte Berlin bei der Demonstration rund 900 Polizisten einsetzen. Und den Beamten wurde einiges abverlangt: Nachdem die Gegendemonstranten sich auf die Straße setzten, wurden sie von der Polizei weggetragen – doch an der nächsten Kreuzung saßen sie dann wieder da. Am Ende wurden 14 Polizisten leicht verletzt; bei 16 Linken wurden wegen Straftaten die Personalien aufgenommen. Unter anderem wurde von Eierwürfen auf Teilnehmer des „Marschs für das Leben“ berichtet.