© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Besuch von einem fremden Planeten
Niedersachsen: Tausende Landwirte protestieren in Hannover gegen politische Bevormundung durch Rot-Grün und ein Klima der Verdächtigung
Christian Vollradt

Der Esel ist ein bißchen unruhig geworden. Mit einer Hand muß sein Besitzer ihn bändigen, in der anderen Hand hält er sein Mobiltelefon ans Ohr: „Wie viele hier demonstrieren?“ wiederholt er die Frage vom anderen Ende. „Och, so zehn, zwanzig Bauern sind um mich rum“, ruft er in das Gerät und schaut sich verschmitzt lächelnd um. Gelächter der Umstehenden; sollen andere Demo-Veranstalter doch mit aufgemotzten Teilnehmerzahlen prahlen.

Das eben noch störrische Tier schüttelt den Kopf, als wolle es die Untertreibung seines „Herrchens“ kommentieren. Tatsächlich sind an diesem herbstlich milden Septemberfreitag etwa 4.000 Landwirte in Hannovers Innenstadt gekommen und haben sich zu einem imposanten Zug formiert; dazu noch 150 teils mit Transparenten geschmückte Traktoren – und der Esel.

Naheliegend, daß das graue Huftier eine Anspielung auf den Minister ist, gegen dessen Agrarpolitik sich der Zorn der Teilnehmer richtet: Der Grüne Christian Meyer, seit zweieinhalb Jahren Ressortchef für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Niedersachsen, hat sich in dieser Zeit kontinuierlich die Antipathie der Bauern zwischen Ems und Elbe erarbeitet. Hauptkritikpunkt ist die sogenannte Agrarwende, die Diplomsozialwirt Meyer bereits vor dem rot-grünen Machtwechsel 2013 als Mitglied von BUND, Greenpeace und Attac propagiert hatte. Diese Politik jedoch lege sich „wie Mehltau auf Niedersachsens Höfe“, kritisiert Landvolkpräsident Werner Hilse während der Kundgebung und fordert: „Unsere Bauern und ihre Familien wollen nicht unter Vorschriften und Auflagen erstickt werden, sie brauchen endlich wieder eine Perspektive.“ 

Schon wegen der derzeit niedrigen Preise etwa für Schweinefleisch und Milch sowie den Auswirkungen des russischen Boykotts ist die Stimmung unter den Landwirten eher schlecht. Da kommen politische Querschüsse besonders ungelegen. Erbost sind sie vor allem wegen des Mißtrauens, das ihnen entgegengebracht werde. Unter Meyers Ägide sei der bürokratische Aufwand zur Dokumentation der Arbeitsschritte noch größer geworden, nahezu wöchentlich gebe es irgendeine Kontrolle, die Kosten dafür gingen allein zu Lasten der Landwirte. In den immer neuen Auflagen und Vorschriften sehen die Bauern einen massiven Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit und Eigenverantwortung. „Wirtschaftliche Aspekte aber blendet Minister Meyer leider vollständig aus“, bedauert der Landvolk-Präsident. „Ackern statt Akten“, so die dazu passende Parole auf den Transparenten.

Überhaupt werfen die Demonstranten aus den grünen Berufen dem Grünen vor, er habe von der Praxis in ihren Betrieben keine Ahnung. Stattdessen orientiere er sich mit seiner rein ideologisch motivierten Agrarwende an den Interessen einer kleinen Öko-Nische und betreibe Randgruppenpolitik. „Mit Begriffen wie Massentierhaltung, Agrarindustrie oder massenhaftem Medikamentenmißbrauch“ säe der Minister Zwietracht und Mißtrauen. Eine Vertreterin der Landfrauen beklagt, daß mittlerweile Bauernkinder beschimpft, beleidigt und ausgegrenzt werden. „Wir sind keine Tierquäler, keine Brunnen- und keine Bodenvergifter“, ruft Werner Hilse unter dem Applaus seiner Zuhörer aus. „Wir Bauern denken in Generationen und produzieren qualitativ hervorragende Lebensmittel zu bezahlbaren Preisen.“   

Woher kommt diese Stimmungsmache gegen die konventionelle Landwirtschaft? „Den Grünen ist der Kampf gegen die Atomkraft abhanden gekommen, jetzt müssen sie eine neue Sau durchs Dorf treiben“, mutmaßt ein Demonstrant. „Und wie viele Verbraucher kennen noch einen echten Bauern?“ Und tatsächlich wirkt auf Hannovers „migrantisch“ und von Amüsierlokalen geprägtem Steintorplatz das Landvolk etwas wie aus einer fernen, fremden Welt.