© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Wen interessieren schon Abgaswerte
IAA: Der Dieselskandal erwischt VW auf dem falschen Fuß / Kommt der Konzern mit einem blauen Auge davon?
Ronald Gläser

Martin Winterkorn ist in der Agora eingetroffen, dem Audi-Pavillon auf der Frankfurter Messe. „Der Boß ist da“, murmeln Angestellte des Mutterkonzerns VW. Soeben hat die IAA begonnen. Und Audi hat eine besondere Show vorbereitet. Es dauert nur 47 Sekunden, bis zum ersten Mal von Elektromoblität die Rede ist. Als Hauptattraktion wird der neue Elektro-SUV Q6 – auch E-Tron genannt – vorgestellt. 2018 soll er auf den Markt kommen. Audi-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg preist ihn an: „Er vereint Sportlichkeit, Komfort und Effizienz mit Emissionfreiheit.“ Auch Winterkorn wirkt begeistert.

Zwanzig Minuten später: Winterkorn begibt sich in die Halle drei, wo die anderen VW-Töchter untergebracht sind. Zuerst der Stand der Marke, die dem Konzern ihren Namen gibt: Volkswagen. Diesmal muß der Chef selbst ran. Er hält einen Pokal in die Höhe, den seine Rallyefahrer gerade gewonnen haben. Seinen Markenchef Herbert Diess läßt er während der Vorstellung des neuen Tiguan feststellen: „Keine Marke hat mehr Elektromodelle im Angebot als wir.“

Nächste Show: Selbst Porsche hat eine „Mission E“. In fünf Jahren könnte der erste E-Porsche mit einer Reichweite von 500 Kilometern vom Band laufen. Das Publikum staunt noch über diese kühne Ankündigung von Porsche-Chef Matthias Müller. Winterkorn ist da schon wieder auf dem Sprung zum nächsten Stand: auf zur böhmischen Konzerntochter Škoda.

 Martin Winterkorn. Er hatte den Machtkampf mit Ferdinand Piëch gewonnen und zumindest im ersten Halbjahr 2015 VW zum weltgrößten Autobauer gemacht – vor Toyota. Da würde er jetzt nicht schlappmachen wie sein BMW-Amtskollege Harald Krüger, der vor der eigenen Präsentation ohnmächtig wurde. Winterkorn hatte eine Mission: der Welt zeigen, daß VW reif ist für die Welt der E-Autos. Mit deutscher Gründlichkeit arbeiten er und die Mehrheit der Branche darauf hin. Schnellere Ladezeiten, größere Reichweiten, höhere Leistung – das muß doch machbar sein. Nicht zuletzt auch, weil die Politik es vorgibt: Immer neue Vorschriften von EU, Bund und Ländern sowie aus Übersee sollen den klassischen Verbrennungsmotor verhindern und gleichzeitig die E-Autos voranbringen. Weg mit Emissionen, hinein in die „klimafreundliche“ Welt der Ökomobile. 

Die USA kassieren gern bei Großkonzernen ab

Eine Woche nach der IAA-Eröffnung sind diese Ansätze zunichte gemacht – und Winterkorn ist der große Buhmann. Der Diesel-Skandal frißt den guten Ruf der Wolfsburger. Die Aktie büßte zum Wochenbeginn rund ein Drittel ein und zog den Dax in die Tiefe. Seit April hat sich der Börsenwert von VW halbiert. Was war passiert? Volkswagen und Audi haben die Diesel-Modelle von Beetle, Passat, Golf, Jetta und A3 so programmiert, daß ihre Motoren nur unter Kontrollbedingungen abgasarm laufen. Ansonsten übersteigen die Emissionen sämtliche Grenzwerte – um ein Vielfaches. 

Warum das alles? Diesel-Pkws sind in den USA unbeliebt. Als Gegenmaßnahme zeigt VW in TV-Spots für die US-Kundschaft, wie es für saubere Luft in chinesischen Schulklassen kämpft. Obendrein wirbt der Konzern damit, daß er eine besonders harte Abgasnorm einhält. Allerdings ist die US-Umweltbehörde EPA den Technikern nun auf die Schliche gekommen. Es droht ein Bußgeld von 37.500 Dollar – und zwar pro Fahrzeug. VW stellte den Vertrieb seiner Diesel-Fahrzeuge vorläufig ein.

Für die Amerikaner sind die bis zu 18 Milliarden Dollar eine nette Sondersteuer, die sie kassieren könnten. Es wäre nicht das erste Mal, daß sich der amerikanische Staat mittels Bußgeld an ausländischen Konzernen gesundstößt (JF 12/15). Die Summe entspricht dem Budget der Nasa für ein Jahr. Für VW hingegen ist der Schaden unabsehbar: Der US-Absatz trägt zwar nur zu sechs Prozent zum Gesamtumsatz bei. Auch ein weiterer Einbruch des nur zwei Prozent betragenden US-Marktanteils wäre nicht wirklich gefährlich für VW. Ob die Kunden tatsächlich wegbleiben, ist noch nicht klar. Aber das VW/Audi-Image ist beschädigt: Weltweit sind elf Millionen Dieselfahrzeuge mit der Abgas-Schummel-Software unterwegs – die Marketingabteilungen der Konkurrenz dürften sich nun aber ins Fäustchen lachen.

Die Kunden interessieren sich allerdings kaum für Abgaswerte. Jeder Autokäufer weiß, daß die Herstellerangaben zum Verbrauch nichts taugen. Wenn ein Auto angeblich sechs Liter für 100 Kilometer benötigt, dann sind es in der Regel eher acht oder neun. Warum sollte das bei Abgaswerten anders sein? Der Unterschied zu den Verbrauchsabgaben: Dafür dürften sich noch weniger Konsumenten interessieren. Denn während der Verbrauch etwas mit Kosten zu tun hat, sind ihnen die Schadstoffe aus dem Auspuff egal, solange das Auto nicht stinkt wie ein Trabant. Und das tut kein moderner Wagen, auch kein Diesel.

Am schlimmsten wäre für VW der juristische Aderlaß: Umgerechnet 16 Milliarden Euro sind mehr als ein Jahresgewinn. Vielleicht ist der Abgas-Skandal bald vergessen. Das wird auch daran hängen, wie sich die deutschen Politiker in Brüssel und Washington für die heimischen Anbieter einsetzen. Zur Zeit arbeiten sie leider gegen ihre größten Steuerzahler. Alle Autokonzerne werden bereits jetzt durch die EU gezwungen, die Emissionswerte ihrer Fahrzeugflotten zu reduzieren. Das ist der wahre Grund, warum sie Kleinwagen und E-Autos präsentieren. Die Gesetzgebung bevorzugt die französischen und italienischen Kleinwagenhersteller von Fiat bis Renault. Das gilt auch für die preiswerteren VW-Töchter Škoda und Seat. Martin Winterkorn mußte am Dienstag vor einer Woche auch ihre Präsentationen noch ansteuern. Was er dort hörte zum Thema Elektromobilität dürfte ihn kaum überrascht haben: nichts.




Bekanntmachung der EPA-Behörde

Am 18. September brachte die US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) die Mitteilung in Umlauf, von der wetweit elf Millionen Fahrzeuge betroffen sind und die VW Milliarden kosten könnte. In dem sechseitigen Dokument, unterschrieben vom Direktor der Luftschutzabteilung Phillip Brooks, heißt es: „VW hat zwischen 2009 und 2015 Täuschungsgeräte entwickelt und in Autos mit Zwei-Liter-Dieselmotoren eingebaut. Diese Täuschungsapparate umgehen, übertrumpfen oder setzen das Emissionskontrollsystem außer Kraft, das dazu dient, den amerikanischen Luftschutzstandards zu genügen.“ VW mußte seinen Vertrieb stoppen und Modelle vom Markt nehmen, sonst hätte ein behördliches Verbot für den US-Markt gedroht, denn „Automobile, die mit solchen Täuschungsapparaten ausgerüstet worden sind wie die, um die es hier geht, können nicht zertifiziert werden.“ Der Apparat konnte erkennen, ob das Auto normal fährt oder gestestet wird – und zwar anhand folgender Kriterien: „Position des Lenkrads, Geschwindigkeit, durchschnittliche Betriebsdauer und Luftdruck.“ (rg)