© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Dorn im Auge
Christian Dorn

Zum Fest am Rathaus Berlin-Pankow präsentieren sich fast alle im Parlament vertretenen Parteien. Gewissermaßen ein Heimspiel ist es für die „Partei neuen Typus“, die heutige Linkspartei. An deren Stand wirbt ein Schild für den „Talk mit Petra Pau“. Die einstige Freundschaftspionierleiterin und Führungskraft im FDJ-Zentralrat, die als Kind noch getauft und konfirmiert worden war, signiert dort ihr Buch „Gottlose Type. Meine unfrisierten Erinnerungen“. Ich frage sie, ob sie sich 1990 hätte vorstellen können, im Jahr 2015 in der Morgensendung des Deutschlandfunks interviewt zu werden. Paus Antwort: „Hätte ich damals gedacht, daß ich einmal Bundestagsvizepräsidentin bin oder Interviews im Deuschlandfunk gebe, hätte man mich zum Arzt geschickt.“


Visionen ganz anderer Art offenbart das Publikum dieses Familienfestes, das frei von Berührungsängsten scheint. Besonders häufig halten Kinder und Jugendliche in ihren Händen Luftballons der Linkspartei („Richtig Rot!“) zusammen mit denen der AfD, die auf ein entsprechendes Motto (etwa: „Vollkommen blau“) leider verzichtet hat – angesichts der vielen Bierschenken wäre dies eine lustige Perspektive. Dennoch herrscht eine heitere Atmosphäre. Kurioserweise bestätigt sich bei der Luftballon-Koalition Linke/AfD die (nicht zuletzt von der FDP) herbeigeredete Nähe der zwei „populistischen“ Parteien. Die Liberalen – deren Neidfaktor sich am Farbton Gelb zeigt – repräsentiert direkt neben dem AfD-Stand ein junger Mann, der antizyklisch – nach der Wahlniederlage – in die Partei eingetreten ist. Zwei junge Kerle lassen sich das Wahlprogramm geben. Als der FDP-Vertreter präzisiert, daß er für eine „linksliberale“ Freiheit kämpfe, schütteln beide abrupt die Köpfe: „Nee, darauf können wir verzichten.“


Von unfreiwilliger Komik ist das „Give Away“ am CDU-Stand, wo die Junge Union Präservative in schwarzer Verpackung unter dem Motto „BLACK is beautiful.de“ mit auf den Weg gibt – statt den „Marsch für das Leben“ zu bewerben. Das einstige afroamerikanische Kampagnenmotto erhält hier angesichts der nach Europa strömenden illegalen schwarzafrikanischen Immigranten einen ganz neuen Sinn. Es scheint dieser Tage ganz so, als wollte „Mutti“ Merkel Thilo Sarrazins Buchtitel von 2010 nun doch bestätigen, wenn sie sagt: „Wir schaffen das.“ Auf einmal kommen mir die legendären Liedzeilen von Keimzeit aus dem Jahr 1990 in den Sinn: „Irre ins Irrenhaus, die Schlauen ins Parlament, selber schuld daran, wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt.“