© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Krankenhäuser, Schulen, Polizei, Ämter – überall lauert der Rassismus
Doch Gefahr erkannt, Gefahr gebannt: Der Pädagoge Frank-Olaf Radtke fordert Überwachung nach allen Seiten und einen Uno-„Rapporteur“
Oliver Busch

Im auf ökonomische Effizienz gepolten Bologna-System unserer Tage hätte der emeritierte Erziehungswissenschaftler Frank-Olaf Radtke, geboren 1945 in der inoffiziellen Rudi-Dutschke-Stadt Luckenwalde, vermutlich nie eine Chance gehabt. Die Promotion mit knapp 40, die er 1983 in Bielefeld bewältigte, ebendort die in der scientific community unbeachtet gebliebene Habilitation mit Mitte Vierzig, und endlich, nach einer Gastrolle an Reemtsmas Hamburger Institut für Sozialforschung, die wundersame Spätberufung, 1994 auf einen Frankfurter Lehrstuhl – für die Heerscharen heutiger junger Wissenschaftler dürfte diese Laufbahn wie ein Märchen aus einer anderen akademischen Galaxie klingen. 

Der prototypische 68er Radtke war zwar langsam. Aber der Spätentwickler wußte zeitig, woher der Wind wehte. Früher als andere erkannte er die sich in seinem Fachgebiet anbahnende Hochkonjunktur des Themas „Migration“, und die sich daraus zwingend ergebende Nachfrage nach Dozenten mit Kompetenzen für „interkulturelle Erziehung“. Aus der Variante „antirassistische Pädagogik“ zimmerte Radtke sich daher sein Karrierekatapult. Die wissenschaftliche Produktion war entsprechend eintönig. 

Monographisch blieb er als Autor des 2009 in dritter Auflage erschienenen, mit der heute an der Hamburger Bundeswehrhochschule lehrenden Pädagogin Mechtild Gomolla zusammen verfaßten Werkes über „Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule“ ein vir unius libri. Und auch im Ruhestand zieht er allein auf diesem Feld seine Furchen. Nur intoleranter, ja aggressiver ist sein „Antirassismus“ geworden. 

Staatliche Verschwörung der Ausländerfeinde

Gegen Verschwörungsdenken nicht gefeit, ist Radtke überzeugt, in der Bundesrepublik ähnlich wie in der autokratisch regierten Türkei einen „tiefen Staat“ nachweisen zu können (Blätter für deutsche und internationale Politik, 7/2015). Darunter versteht er eine konspirative Verflechtung von Militär, Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Verwaltung, die von Politikern und Journalisten abgeschirmt werde. Der Umgang mit den ausländerfeindlichen „NSU-Morden“ ist ihm sicheres Indiz dafür, daß auch hierzulande diese finstere „Konspiration“ am Werke ist, die als „institutioneller Rassismus“ die deutsche „Volksgemeinschaft“ von der zugewanderten „Bevölkerung“ trennt. Der „integrationspolitische Konsens“, ethnische Differenzierung aufrechterhalten zu wollen, sei in allen Lebensbereichen erfahrbar. Überall würden zugewanderte Bevölkerungsgruppen „seit Jahrzehnten“ sozial ausgegrenzt. Die Diskriminierung schlage sich nieder im Schulversagen, in herkunftsspezifischen Arbeitslosenquoten, fehlenden beruflichen Aufstiegschancen, Altersarmut. Selbst der angeblich so sensible Begriff „Migrationshintergrund“ verfestige die Unterscheidung auf subtile Art. Nicht zufällig wurde er in dem Moment „erfunden“, als immer mehr Ausländer einen deutschen Paß erhielten.

Um der Bedrohung des Gemeinwesens durch den „tiefen Staat“ zu begegnen, müsse der Sachverhalt dieser „Konspiration“ zunächst einmal allgemein anerkannt werden. Dann sollten die Vereinten Nationen einen „Special Rapporteur“ entsenden, der zunächst die „strukturellen Hintergründe des NSU-Komplexes“ untersuchen müsse, der stellvertretend für den immanenten staatlichen Rassismus stehe. Doch ist das nur der Einstieg in die totale Überwachung, wie sie Radtke vorschwebt: Nach „allen Seiten“ sei zu ermitteln: Polizei, Staatsanwaltschaften, Schulbehörden, Arbeits- und Wohnungsämter, Personalabteilungen und Krankenhäuser. „Nur so läßt sich der institutionelle Rassismus dauerhaft bekämpfen.“