© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Die Abwehr kommuniziert und organisiert
Förderprojekte der DFG: Über Paradigmenwechsel und Durchbrüche in der deutschen Immunologie
Manfred Hartwig

Für Erkundungen des menschlichen, tierischen und pflanzlichen Immunsystems gibt die einen Milliarden-Etat verwaltende Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in Bonn viel Geld aus. Wie ihrem vor einigen Wochen ausgelieferten Jahresbericht 2014 zu entnehmen ist, bilden immunologische Projekte den aktuellen Förderungsschwerpunkt im Bereich „Lebenswissenschaften“.

Praktischen Resultaten   den Weg geebnet

Zu den glücklichen Geldempfängern gehört Anita Marchfelder, Direktorin des Ulmer Instituts für Molekulare Botanik. Deren überregionale Forschungsgruppe erhielt im Dezember 2014 eine Zusage, noch weitere drei Jahre an der Entschlüsselung des von ihr 2007 entdeckten „prokaryotischen Immunsystems“ arbeiten zu dürfen, da dieses Projekt mittlerweile zu einem „international sichtbaren Leuchtturm“ der deutschen Immunologie geworden sei. Die von Marchfelder dirigierten Teams aus Mikrobiologen und Bioinformatikern beschäftigen sich dabei mit Abschnitten sich wiederholender Nukleinsäure­sequenzen, die im Erbgut vieler Bakterien und Archaeen auftreten. Transkribiert und verkleinert produziert, „erkennen“ sie Viren und steuern Proteine zu den Angreifern, um sie zu zerstören. Dieser Mechanismus sei „schlauer“ als bekannte Abwehrsysteme, weil er sich an neue Angreifer anpassen könne, da er sich bei einem wiederholten Angriff an sie „erinnert“ und sie erfolgreich abwehre. Zudem können die Zellen, wie Marchfelder erläutert, Informationen über abgewehrte Angreifer sogar „vererben“.

Die neueste Entwicklung zeige, wie man das System auch als Werkzeug zur Genomveränderung höherer Lebe­wesen nutzen könne. Seit dieser Entdeckung „explodiert“ Marchfelders Forschungsgebiet. Rund um den Globus werde ihre Technik angewendet, um Informationen aus dem Genom aller Zelltypen und Organismen herauszuschneiden, einzufügen oder um Gene „an- und abzuschalten“. Obwohl kein Ende dieser Grundlagenforschung abzusehen ist, ist die Ulmer Biologin bereits in der Lage, praktisch relevante Resultate vorauszuweisen. So werde es für die biotechnologische Industrie interessant, Bakterienkulturen ihrer Käse- und Joghurtproduktion, die oft von Viren zersetzt würden, zu immunisieren. Wirtschaftlich wesentlich attraktivere Anwendungsfelder täten sich im Rahmen der „Energiewende“ auf, da sich die Produktion von Bio-Kraftstoffen verbessern lasse, sowie für die Gen­therapie des Menschen, da Krankheiten, die durch schädliche Erbgutveränderungen entstehen, mit ihrem System zu behandeln seien.

Immunsystem so trainieren, daß es Krebs erkennt

Daß sich die Funktion des körper­eigenen Immunsystem nicht in der Abwehr von Viren, Bakterien und Parasiten erschöpft, haben Studien des Kieler Biochemikers Thomas Bosch gezeigt, dem die DFG ebenfalls eine neue Förderperiode finanziert. Die Kieler Wissenschaftler um Bosch erforschen, wie ein nur ein Zentimeter großer Süßwasser­polyp (Hydra) sich gegen krankmachende Erreger wehrt. Ihre Analysen führten zum Paradigmenwechsel im Verständnis der Bedeutung des Immunsystems. Neben seiner Abwehrfunktion organisiere es nämlich die Kommunikation mit Mikroben im Körper, den es damit im Gleichgewicht halte. Komplexe Erkrankungen wie Diabetes und Allergien, entzündliche Darm- und neuronale Erkrankungen ließen sich vielleicht damit erklären, daß diese vom Immunsystem geregelte Kommunikation zwischen Mikroben und Gewebe gestört sei. Auch für die künftige Aufklärung dieser Zusammenhänge erwartet Bosch vom „Modell Hydra“ einigen Erkenntnisgewinn, da die Mikroben im menschlichen Darm oder auf der Haut ähnlich funktionieren. Einen Schlüssel zu Wunderheilungen biete Hydra jedoch nicht, da der menschliche Organismus viel komplizierter als der des Polypen sei.

Im Sinne von Boschs „Paradigmenwechsel“ beschäftigt sich mit der Heilungsfunktion des Immunsystems auch der seit 2006 von der DFG geförderte, 2014 zum zweiten Mal verlängerte Sonderforschungsbereich „Grundlagen und Anwendung adoptiver T-Zelltherapie“ unter Regie des Instituts für Immunologie der Berliner Charité. Obwohl das Immunsystem bei der Knochenheilung seiner Schlüsselrolle gerecht wird, versagt es häufig bei Krebserkrankungen. Da auch Operation, Chemotherapie und Bestrahlung oft erfolglos bleiben, versuchen die Berliner Forscher, das Immunsystem so zu „trainieren“, daß es den Krebs erkennt und bekämpft. Ein Therapieansatz, den die US-Zeitschrift Science 2013 als „Durchbruch des Jahres“ feierte. Auf dem Campus Berlin-Buch ist man zuversichtlich, mit dem DFG-Geld die klinischen Studien soweit voranzubringen, daß man 2019 in „die breite Anwendung“ gehen könne. Eine frohmachende Hoffnung.