© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Am Anfang: die Germanen
Vom Anfang der Geschichte unseres Volkes, von den Kelten, vor allem aber von den Germanen, von ihrem größten Helden, Arminius, der die Römer besiegte / Folge I
Karlheinz Weißmann

Wenn man früher nach den ersten Deutschen fragte, erhielt man zur Antwort, das seien die Germanen gewesen. Und Du hast wahrscheinlich schon gehört, dass Engländer oder Amerikaner uns »Germans« und unser Land »Germany« nennen. Ähnlich ist es auch bei Bulgaren, Georgiern, Griechen, Iren, Israelis, Italienern, Rumänen und Russen, die von »Germania« sprechen. Im Grunde steht dahinter die Idee, dass Deutsche und Germanen dasselbe seien. Aber so einfach ist die Sache nicht. Der Fürst von Seddin, der im letzten Abschnitt erwähnt wurde, war vielleicht ein Germane, aber mit Sicherheit kann das kein Forscher sagen. Denn noch bis in die Zeit um Christi Geburt gab es im Süden des Gebiets, das man später Deutschland nennt, Kelten, die einen riesigen Raum zwischen dem heutigen Spanien und dem heutigen Griechenland bewohnten.

Nur für Skandinavien und Norddeutschland ist halbwegs sicher, dass dort Germanen lebten, das heißt Menschen, die eine germanische Sprache benutzten. Ihre Vorfahren besiedelten das Gebiet seit der Bronzezeit, vielleicht aber auch schon länger. Sie unterschieden sich von ihren Nachbarn nicht nur durch die Sprache, sondern auch durch ihre Abstammung, Kleidung, ihre Religion und ihre Bräuche, bis zu einem gewissen Grad auch durch ihr Aussehen. Von alldem wissen wir nichts aus ihrer eigenen Überlieferung, denn die Germanen haben keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen. Wir sind auf das angewiesen, was römische Gelehrte niedergeschrieben haben.

Für Römer, das mächtigste Volk des Altertums, wie man die Zeit nennt, die etwa 1200 vor Christus begann, waren die Germanen Barbaren, also primitive Menschen, – und Feinde. Denn die ersten Germanen, denen sie begegneten, hatten sich als furchterregende Kämpfer erwiesen, die sie nur sehr schwer besiegen konnten. Die Römer sprachen von Kimbern und Teutonen. Am Ende des 2. Jahrhunderts vor Christus waren deren Stämme vom Gebiet des heutigen Dänemark aufgebrochen. Wahrscheinlich trieben sie Landnot und Hunger fort, und sie zogen nach Süden in der Hoffnung, sich dort eine neue Heimat zu erobern. Anfangs schien der Plan Erfolg zu haben, jedenfalls griffen Kimbern und Teutonen die Römer an und bereiteten ihnen schwere Niederlagen. Erst nach einer Reihe von Jahren wurden sie besiegt.

Obwohl danach von Kimbern und Teutonen keine Rede mehr war, vergaßen die Römer nicht, dass nördlich der Alpen und östlich des Rheins Gefahr lauerte. Cäsar, dem berühmten römischen Feldherrn, gelang es zwar, die keltischen Gebiete in Gallien (etwa das heutige Frankreich) zu erobern. Aber alle Vorstöße gegen Germanien scheiterten. In seinem Buch über diese Kämpfe – unter dem Titel De bello Gallico (Vom Gallischen Krieg) kennt es noch jeder Lateinschüler – schrieb er auch, dass er mehrmals den König des germanischen Stamms der Sueben, Ariovist, in Germanien angegriffen habe. Nur von einem Sieg ist keine Rede, und den hätte Cäsar ganz sicher nicht verschwiegen.

Erst in der Zeit um Christi Geburt fühlten sich die Römer so stark, dass sie einen neuen Vorstoß wagten. Das war, als ein Nachfolger Cäsars, Augustus, als Kaiser regierte. Er konnte von Westen und von Süden die römische Stellung vorschieben, bis zur Rhein- und Donau- linie. Später errichteten die Römer den Limes, eine gigantische Grenzanlage mit befestigten Forts, und Städte, von denen einige, etwa Trier, Köln oder Mainz, bis heute bestehen. Die Feldherrn des Augustus rückten auch bis an die Elbe und die Nordseeküste vor, konnten das Gebiet aber nicht auf Dauer halten. Dazu war der germanische Widerstand zu stark.

Sicher hat die Germanen die römische Zivilisation beeindruckt: Mauern um die großen Siedlungen, Häuser mit mehreren Stockwerken aus gebrannten Ziegeln, manche sogar mit verglasten Fenstern – unser Wort Fenster kommt vom lateinischen fenestra – und Wasserleitung oder Fußbodenheizung, Theater, Wettkampfstätten, öffentliche Bäder, gep lasterte Straßen, feine Gewänder, alle möglichen, zum Teil kostbare und fremdartige, Waren, Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Gebrauchs, die ein Germane nicht kannte, und natürlich eine Armee, die das größte Reich der Welt erobert hatte. Als die Stadt Rom schon 700 000 Einwohner zählte, lebten die Germanen auf Einzelhöfen oder in kleinen Dörfern. Es gab keine öffentlichen Gebäude, ihre Häuser waren aus Fachwerk errichtet, deren Wände man durch geflochtene Ruten schloss, die mit Lehm verputzt waren, es gab nur Stroh für das Dach, und selbstverständlich kannte man kein Glas, sondern nur ein »Wind-Auge«, das im Winter mit Heu oder Moos oder einem Brett verstopft werden musste, um die Kälte abzuhalten. Die Kleidung der Germanen war einfach, genauso wie ihre Nahrung, es gab selbstverständlich Schmuckstücke, aber für die Geräte des täglichen Bedarfs trieb man keinen Aufwand. Die Germanen lebten auch nicht in einem gemeinsamen Staat zusammen. Es gab zwar gemeinsame Götter, die an bestimmten heiligen Plätzen gemeinsam verehrt wurden, aber im allgemeinen regelte jeder Stamm, oft sogar jede Großfamilie – die Sippe –, ihre Angelegenheiten selbst. Wie wichtig den Germanen die Sippe war, kann man daran erkennen, dass unser Wort »Freund« bei ihnen ursprünglich nur auf den Blutsverwandten bezogen wurde, später auf jeden, der einem im Kampf treu zur Seite stand.

Das Römische war vor allem in den Augen germanischer Führer, der Adligen, »fortschrittlich« oder »modern«, und sie erwarteten Vorteile davon, mit den Römern zusammenzuarbeiten. Es gab bei den Germanen aber auch einen ausgesprochenen Widerwillen gegen die römische Lebensweise. Vor allem lehnten sie ab, was ihrem Freiheitswillen entgegenstand. Die Germanen waren stolz und eigensinnig und wollten sich kaum den eigenen und schon gar nicht fremden Herrn beugen, nahmen nur murrend hin, wenn die Römer immer neue Gebiete unter ihre Kontrolle brachten und ihnen immer neue Abgaben und Steuern auf bürdeten.

Dieses Hin-und-her-gerissen-Sein zwischen der Anziehungskraft der römischen Art und der Ablehnung hat bestimmt auch eine Rolle gespielt für das Leben des berühmtesten Germanen dieser Zeit: Arminius. Wenn Du findest, dass sein Name nicht sehr germanisch klingt, hast Du recht. Er ist römisch. Welchen Namen der Junge von seinen Eltern erhielt, wissen wir nicht. Als die Deutschen anfingen, sich für ihre germanischen Vorfahren zu interessieren, glaubten sie, die ursprüngliche Form sei »Hermann« gewesen. Aber das ist offenbar nicht richtig. Trotzdem war Hermann vom 17. bis zum 20. Jahrhundert ein ausgesprochen beliebter Jungenname in Deutschland, in Erinnerung an den »ersten deutschen Helden«.

Fragt man sich, wie der Ruhm des Arminius zu erklären ist, so lautet die Antwort: durch seinen Sieg über drei römische Legionen in der Schlacht im Teutoburger Wald, 9 nach Christus. Dass es je so weit kommen würde, ahnte anfangs niemand. Vielmehr hätten seine Zeitgenossen wohl erwartet, dass das Leben des Arminius verlaufen würde wie das anderer vornehmer Germanen, die ihren Frieden mit den Römern gemacht hatten. Das erlaubte ihnen, ein angenehmes Dasein zu führen, fern der Unterwerfung und Ausbeutung ihrer Stammesgenossen, die nicht so viel Glück hatten. Sicher ist, dass Arminius in einer adligen Familie des Stamms der Cherusker zur Welt kam. Die Cherusker waren damals sehr mächtig und beherrschten den größten Teil Norddeutschlands. Ihre Führer, darunter auch der Vater des Arminius, bemühten sich um ein gutes Verhältnis zu den Römern.

Aus dem Grund kam Arminius zusammen mit seinem Bruder Flavus – der Name bedeutet »der Blonde« – zu den Römern und lernte die Grundlagen ihrer Lebensweise kennen. Als Erwachsener diente er sogar als Offizier im Heer des Kaisers und muss sich bewährt haben. Jedenfalls erwarb er das römische Bürgerrecht und stieg in den Stand der »Ritter« auf, das war die zweithöchste Adelsgruppe der Römer. Niemand scheint Zweifel daran bekommen zu haben, dass aus ihm im Lauf der Zeit ein guter Römer werden würde, so wie aus seinem Bruder, der eine ähnliche Karriere machte und sich offenbar immer weniger als Germane oder Cherusker, immer mehr als Römer ansah. Was genau dazu geführt hat, dass bei Arminius alles ganz anders kam, ist den wenigen Überlieferungen, die wir besitzen, nur schwer zu entnehmen. Wahrscheinlich begann es damit, dass Arminius von seinem Vater in das Cheruskerland zurückgerufen wurde und erlebte, wie der neue Statthalter Varus begann, den römischen Machtbereich auszudehnen und die Stämme, die bis dahin mehr oder weniger unabhängig gewesen waren, gefügig zu machen.

Varus war ein Mann mit Erfahrung und hatte Augustus in anderen Gegenden des Weltreichs schon gute Dienste geleistet. Aber die Germanen verstand er offenbar nicht und suchte ihren Widerstand gewaltsam zu brechen. Vielleicht war es die Brutalität, mit der Varus die Germanen behandelte, die Arminius dazu trieb, innerlich auf deren Seite zu treten. Er scheint sich jedenfalls die Frage gestellt zu haben, wo er eigentlich hingehörte und nahm Verbindung zu seinen Verwandten auf und brachte es dahin, dass die Cherusker ein Bündnis mit einigen anderen kleineren germanischen Stämmen schlossen. Währenddessen wahrte Arminius listig den Anschein, als ob er dem Varus treu ergeben sei. Der wiederum vertraute dem römischen Bürger und ehemaligen Offizier und hörte nicht einmal auf Warnungen anderer – romtreuer – Germanen, dass Arminius ein Verräter sei. Wahrscheinlich hat Arminius dem Varus auch geraten, auf die Nachricht von einem Aufstand im Osten des römischen Herrschaftsgebiets eine Strafexpedition in Richtung auf die Weser zu führen. Mit drei Legionen rückte Varus vor und war sicher, dass sich bei einer solchen Demonstration der Stärke die Germanen mehr oder weniger kampflos der Herrschaft  Roms unterwerfen müssten. Von der Gefahr, die auf ihn lauerte, ahnte er nichts. Selbst als Arminius sich heimlich aus dem Lager absetzte, schöpfte Varus keinen Verdacht. Und weder war ihm klar, dass die Römer ihre Stärke, ihre Ausrüstung und ihre Disziplin in einem Gebiet kaum nutzen konnten, das von Wald, Seen und Mooren bedeckt war, noch rechnete er damit, aus dem Hinterhalt angegriffen zu werden.

Arminius dagegen, der als römischer Offizier genau wusste, wie Varus dachte und handelte, nutzte die Gelegenheit und ließ seine germanischen Krieger im Teutoburger Wald über die Legionen herfallen. Die Schlacht dauerte drei Tage und muss ein furchtbares Gemetzel gewesen sein. Nur eine kleine Zahl der Römer entkam, die allermeisten wurden getötet, Varus stürzte sich aus Verzweiflung in sein Schwert, die Überlebenden opferten die Germanen ihren Göttern. Arminius erbeutete die Legionsadler – die heiligen Feldzeichen der Römer –, und Augustus soll vor Scham und Trauer seine Gewänder zerrissen haben, als er von der Niederlage hörte. Wahrscheinlich befürchtete er sogar, dass die Germanen über die Alpen marschieren und Italien angreifen würden. Aber dazu kam es nicht.

Der römische Historiker Tacitus, von dem wir die meisten Informationen über diese Zeit haben, meinte, Arminius sei »unzweifelhaft der Befreier Germaniens gewesen«, er habe das römische Reich »auf der Höhe seiner Macht« herausgefordert und sei »im Kriege … unbesiegt« geblieben. Auch wenn Tacitus das mehr als hundert Jahre nach den Ereignissen aufschrieb, ist dieses Urteil über einen Feind erstaunlich. Noch erstaunlicher wird es, wenn man bedenkt, wie rasch Arminius nach dem Triumph im Teutoburger Wald gescheitert ist. Er konnte zwar einige weitere römische Angriffe abwehren, aber keinen entscheidenden Sieg mehr erringen. Zuletzt fiel er einer Verschwörung seiner eigenen Familie zum Opfer. Sein Bruder Flavus hatte den Kampf gegen die Römer immer für einen Fehler gehalten, war sogar mit den Legionen gegen Arminius gezogen, die Augustus geschickt hatte, um die Niederlage im Teutoburger Wald zu rächen. Sein Schwiegervater Segestes hasste ihn und lieferte seine eigene Tochter Thusnelda – die Frau des Arminius also – samt ihrem Sohn den Römern aus, und dann verbreitete sich unter den adligen Cheruskern noch das Gerücht, Arminius strebe für sich ein Königtum an, um sie an Stelle der Römer unterdrücken zu können. Schließlich fiel Arminius wenige Jahre nach seinem großen Sieg einem Mordanschlag seiner Verwandten zum Opfer.

Später gelang es keinem germanischen Anführer mehr, ein so großes Bündnis zusammenzubringen, wie es Arminius geschafft hatte. Das Gebiet, das die Römer als erste »Germania« nannten, wurde im Westen und Süden für Jahrhunderte besetzt und von Rom aus regiert. Aber einen Teil der germanischen Völker konnten die Römer nie unter Kontrolle bringen, und schließlich würden gerade sie das mächtige – oder wie die Römer gerne glauben wollten: »ewige« – Römische Reich angreifen und zerstören.

Wenn schon die Rede davon war, wie wenig wir über Arminius wissen, dass nicht einmal sein germanischer Name überliefert ist und man bedenkt, dass bis heute gestritten wird, wo genau die Schlacht im Teutoburger Wald stattfand, so sei doch zum Schluss vermerkt, dass manche Forscher vermutet haben, dass die Gestalt des Arminius in der Sage von Siegfried überlebt haben könnte. Vielleicht hat Tacitus darauf angespielt, wenn er sagte, er werde von Germanen in ihren Dichtungen »besungen«.

Vielleicht hast Du die Geschichte von dem Königssohn Siegfried schon einmal gehört, der bei einem Zwerg zu schmieden lernte und sich das Schwert Balmung machte, um damit den großen Drachen zu töten. Die Sage wäre, wenn sie mit Arminius zusammen hängt, nicht nur eine schöne Erzählung, die an ein Märchen erinnert. Man müsste sie vielmehr bildlich und im übertragenen Sinn verstehen: der Drache wäre das römische Heer, das wie ein gigantisches Ungeheuer durch das Land zieht und alles frisst und vernichtet und mit dem Tod bedroht, bis ihm der Held, also Arminius, todesmutig entgegentritt und ihn gegen alle Wahrscheinlichkeit tötet. Übrigens fällt auch der Siegfried der Sage wie der Arminius der Geschichte einer Verschwörung seiner Familie zum Opfer.




Der Autor

Dr. Karheinz Weißmann, Jahrgang 1959, Historiker und Gymnasiallehrer, schreibt seit über 20 Jahren für die JF: „Als Geschichtslehrer und Vater erlebe ich täglich, wie sich Schüler für die deutsche Geschichte begeistern können. Gerade für Jüngere hat aber bislang ein geeignetes Buch gefehlt. Diese Lücke soll dieses Werk schließen. Es ist ein wundervoll illustrierter Band geworden, der nicht nur Ihren Kindern und Enkeln viel Freude bereiten wird.“





Der Illustrator

Sascha Lunyakov, Jahrgang 1974, in Leipzig lebender ukrainischer Künstler: „Es hat mich begeistert, den genauso anspruchsvollen wie jugendgerechten Text von Karlheinz Weißmann zu illustrieren. Mehr als 100 Aquarelle habe ich in über einjähriger Arbeit für dieses Buch gemalt. Ich bin stolz, daß ich daran mitwirken durfte.“ 





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