© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Ein zu bequemes Imperium
Dieselaffäre: Nach VW-Modellen sind nun auch Millionen Audi, Seat und Škoda betroffen / Verschwörungstheorien machen die Runde
Christian Schreiber

Wer nach 1990 sagte, daß Geheimdienste den Telefonverkehr flächendeckend überwachten, wurde als Verschwörungstheoretiker abgetan. 2001 bestätigte das EU-Parlament die Existenz des Echolon-Systems, Edward Snowden verriet ab 2013 weitere Details der weltweiten Spionagepraktiken. Und der Ex-Offizier Klaus Eichner dokumentierte in seinem Buch „Imperium ohne Rätsel“ (Edition Ost 2014) genüßlich, daß die Stasi bereits in den achtziger Jahren über die NSA-Aufklärung bestens im Bilde war.

Da überrascht es nicht, daß auch beim Dieselskandal des VW-Konzerns Verschwörungstheorien ins Kraut schießen: Der im April geschaßte Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch wolle sich so rächen. Toyota wolle verhindern, daß VW den japanischen Konzern von der Weltspitze verdränge. Die US-Konzerne Ford, GM und Fiat-Chrysler wollten den Konkurrenten VW schädigen. Scheinbar mehr Substanz hat die Theorie, daß US-Finanzkreise Bescheid wußten und mit Wetten auf sinkende VW-Aktienkurse Milliarden einstrichen.

Der Umweltverband International Council on Clean Transportation (ICCT), der die Dieselmotorentests durchführte und damit die VW-Affäre ins Rollen brachte, wird unter anderem  von Stiftungen wie der Climate Works oder der Hewlett Foundation finanziert. Diese haben enge Beziehungen zum linksliberalen Center for American Progress oder der Open Society – die wiederum von dem Philanthropen und erfolgreichen Finanzinvestor George Soros gesponsert werden. Wenn dazu auch der Rockefeller Brothers Fund ICCT-Projekte kofinanziert, ist die Verschwörungstheorie komplett.

Höchstwahrscheinlich ist alles viel banaler: VW wollte einfach Kosten sparen und die Dieselfahrer nicht zwingen,  ständig einen zweiten Tank im Blick zu haben: „Der SCR-Katalysator wandelt die Abgaskomponente Stickoxid (NOX) ohne Bildung von unerwünschten Nebenprodukten selektiv zu Stickstoff und Wasser um. Die Umwandlung erfolgt dabei unter Verwendung einer synthetisch hergestellten, 32,5 prozentigen Harnstofflösung (AdBlue), die in einem Zusatztank mitgeführt wird“, schreibt VW in seinem Techniklexikon. „Je nach Fahrzeug muß der Kunde auch zwischen den Serviceintervallen den Betriebsstoff AdBlue selbständig nachfüllen.“

Wettbewerber setzten lieber auf bewährte Technologien

Die bequeme und kostengünstigere Alternative war ein NOX-Speicherkatalysator (NSK), der aber wohl nicht die strenger gewordenen Abgasnormen erfüllte – deshalb wurde an der Abgasnachbehandlung manipuliert, damit die Dieselmotoren wenigstens auf den Testständen die Umweltgrenzwerte einhalten. Golf, Jetta oder Passat konkurrieren auf dem US-Markt mit Chevrolet Malibu, Dodge Avenger, Ford Focus, Kia Forte, Nissan Altima oder Toyota Corolla – da ist die Kostenkalkulation besonders knapp. Und weil die Wettbewerber auf billige Benzin- statt komplizierte Dieselmotoren setzen brauchen, sie weder NSK- noch die AdBlue-Technik.

Auch die Gleichteile- und Plattformstrategie von VW ist keine Erfindung der Wallstreet oder US-Umweltbehörde EPA, sondern in allen Weltkonzernen gang und gäbe. Deshalb ist der beanstandete Dieselmotortyp EA 189 mit 1,6 und 2,0 Litern Hubraum der Baujahre 2009 bis 2014 nicht nur in VWs, sondern auch in mehreren Millionen Autos der deutschen Tochter Audi, der spanischen Tochter Seat und der böhmischen Tochter Škoda zu finden.

Daß VW-Vorstandschef Martin Winterkorn zurücktreten mußte und die Braunschweiger Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt, überrascht nicht. Doch der Scherbenhaufen, den er für Mitarbeiter, Aktionäre und die Branche hinterlassen hat, ist riesig. Innerhalb von nur drei Tagen verloren die drei großen Hersteller VW, BMW und Daimler rund 20 Milliarden Euro an Aktienwert. Der Kurseinbruch war so dramatisch, daß die Welt orakelte, daß Apple, „wo man ohnehin an einem Auto tüftelt, VW aus der Portokasse bezahlen kann. Und die beiden Konkurrenten gleich mit“.

Volkswagen stand in der Welt für deutsche Tugenden: gründlich, ehrlich, zuverlässig. Dieser Bonus ist jetzt vernichtet und die Affäre längst nicht ausgestanden. Wer wußte noch alles von den Schummeldieseln? Piëchs Mahnung, Winterkorn solle sich ums US-Geschäft kümmern, erscheint nun in einem anderen Licht. Piëch, der VW bis 2002 führte, ist ein erfahrener Techniker. Er sorgte 1989 dafür, daß VW den TDI-Motor mit Dieseldirekteinspritzung zur Serienreife brachte. Was wußte Ex-IG-Metall-Chef Berthold Huber (SPD), der den Aufklärer spielt und seit April kommissarisch den VW-Aufsichtsrat führt?

Keine Erkenntnisse über Abschalteinrichtungen?

Der bisherige Porsche-Boß Matthias Müller, der Winterkorn beerben soll, gilt als Favorit der Großaktionäre und genießt im Gesamtkonzern einen vorzüglichen Ruf. Der 62jährige ist zudem nicht direkt von dem „Dieselgate“ betroffen: Porsche setzt auf leistungsstarke und teure Benzinmotoren. Die Dieselnische setzte auf AdBlue-Technik.

Ob die Mogel-Software wirklich nur in weltweit elf Millionen Dieselfahrzeugen eingesetzt wurde, ist fraglich. Inzwischen gibt es Gerüchte, daß auch bei dem kleinen 1,2-Liter-Diesel in Polo & Co. nicht alles korrekt ablief. Tröstlich für VW ist, daß diese Fahrzeuge nicht in den USA verkauft wurden. Die 6,5 Milliarden Euro, die bislang in der Konzernbilanz zurückgestellt wurden, dürften dennoch nicht reichen. Amerikanische Straf- und Schadenersatzprozesse sind für ihre hohen Streitwerte berüchtigt. 

Und was haben Behörden und Politiker gewußt? Das Kraftfahrtbundesamt gibt sich ahnungslos und hat VW eine Frist zur Aufklärung des Dieselskandals bis 7. Oktober gesetzt. Das Umweltbundesamt, das seit Jahren vor Dieselmotoren warnt, äußert sich lieber zu „nachhaltiger Chemie“, Mikroplastik im Meer und EU-Heizverordnungen.

„Ich hab’s am Wochenende aus der Zeitung erfahren, wie alle anderen auch“, erklärte der zuständige CSU-Minister Alexander Dobrindt vorige Woche. Die Vorwürfe der Grünen, sein Haus habe von der Manipulationssoftware gewußt, seien „falsch und unanständig“. Denn die Grünen hatten im Sommer nur eine kleine Anfrage zur CO2-Abgasproblematik gestellt und wußten also genausoviel wie Dobrindt: „Zahlreiche Nachprüfungen weisen darauf hin, daß Autos lediglich auf dem Papier und nicht auf der Straße emissionsärmer geworden sind“, heißt es darin. Über den Einsatz von „Abschalteinrichtungen“ im Abgasstrang von Neuwagen lägen der Bundesregierung hingegen „keine Erkenntnisse vor“. 

Keine Verschwörungstheorie ist, was der bekannte Börsenexperte Dirk Müller auf dem Sender n-tv anmerkte: „Wir stellen selbst alle deutschen Autohersteller unter Generalverdacht. Faseln vom Ende der Marke ‘Made in Germany’ und bekreischen den Untergang in das Vertrauen in die deutsche Wirtschaft.“ Bei der VW-Affäre handele es sich „um einen Frontalangriff auf die deutsche Autoindustrie, das Herz der deutschen Wirtschaft“.

ICCT-Studien zu VW-Dieselfahrzeugen

 theicct.org

Kleine Anfrage der Grünen zu den CO2- und Spritverbrauchsangaben von Pkw:

 dip21.bundestag.de