© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

An die Hausgenossen denken
Zuwanderung: Die Kirchen unterscheiden nicht zwischen Schutzsuchenden und Wirtschaftsflüchtlingen
Gernot Facius

Darüber muß man gar nicht streiten. Aus dem Evangelium nach Matthäus geht unmißverständlich hervor, wie Christen sich gegenüber Flüchtlingen und Bedrängten zu verhalten haben: mit uneingeschränkter Solidarität und großherziger Hilfe. Erbarmen statt Hartherzigkeit. Gastfreundschaft statt Abschottung. „Was ihr für die geringsten unter meinen Brüdern und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,35,40)  Und: „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.“

Von Anfang an drückt sich das Wesen der Kirche in einem dreifachen Auftrag aus: Verkündigung von Gottes Wort, Feier der Sakramente und eben Dienst an der Liebe: Diakonie. Alle drei Aufgaben sind prinzipiell miteinander verbunden, gleichwohl ist man in erster Linie Glaubensgemeinschaft und nicht Sozialverband.

Seit geraumer Zeit schon überwiegt allerdings der Eindruck, die Hierarchien der Kirchen haben sich von der medial tagtäglich genährten „Willkommenskultur“-Euphorie anstecken lassen und ihre Tore weit geöffnet für ausnahmslos alle, die in Deutschland ein Land vermuten, in dem Milch und Honig fließen. Rund 100 Millionen Euro haben katholische Bistümer und Gemeinden an Sondermitteln für die Flüchtlingshilfe bereitgestellt. Gesinnungsethiker dominieren die Debatte. Dabei wären mehr denn je Verantwortungsethiker gefragt.

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck ist nicht der einzige, der mit verstörenden Bemerkungen für Irritationen sorgt. „So wie die Flüchtlinge ihre Lebensgewohnheiten ändern müssen, werden auch wir es tun müssen“, hatte der Ruhr-Bischof gepredigt (JF 40/15). Der verschwurbelte Satz wurde als Appell zur Anpassung an die Fremden gedeutet, im Internet erhob sich ein Sturm der Entrüstung. In ihrem wenige Tage später in Fulda veröffentlichten „Wort zur Hilfe für die Flüchtlinge“ hat die Deutsche Bischofskonferenz versucht, die Unruhe zu dämpfen: „Wir alle sind zu Miteinander und Wertschätzung aufgerufen. Dazu gehört von seiten der ansässigen Bevölkerung die Bereitschaft, sich den Fremden gegenüber zu öffnen. Die Zuwanderer sind ihrerseits gehalten, Recht und Kultur ihrer vorübergehenden oder dauerhaften neuen Heimat anzuerkennen und sich auf das Gemeinwohl unserer Gesellschaft zu verpflichten.“

Konkreter werden die Oberhirten, angeführt von Kardinal Reinhard Marx, nicht. Und dem EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm fällt auch nichts Originelleres ein, als vor einer Festung Europa zu warnen. Da scheint die ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden, Charlotte Knobloch, ein besseres Gespür zu haben. Sie zeigt sich irritiert über Forderungen, daß Deutschland sich verändern müsse. Kaum ein anderes Land käme auf eine solche Idee, weil die Einwohnerzahl um ein Prozent wachse, schrieb sie in der Süddeutschen Zeitung. Die „historische Herausforderung“ könne nur von einem Gemeinwesen getragen werden, das selbstbewußt und aufgeklärt patriotisch empfinde und auftrete. Gesinnungsethische Postulate allein seien nicht hilfreich: „Die Situation verlangt verantwortungsethisches Argumentieren und Handeln. Da verbietet es sich, Politiker wohlfeil in eine Ecke zu stellen, die jene Ratio anmahnen.“

Zu solcher Klarheit haben sich weder der katholische Episkopat, der lieber von „ansässiger Bevölkerung“ schwafelt, statt von Deutschen zu reden, noch die mehrheitlich auf der rot-grünen Gutmenschen-Welle schwimmende EKD bislang durchringen können. Sie ignorieren Warnungen wie die des Dortmunder Professors Walter Krämer, der in der FAZ schrieb: „Als Jesus alle Mühseligen und Beladenen aufforderte, zu ihm zu kommen, hörten vielleicht 1.000 Menschen zu. Den Lockrufen von Angela Merkel und Sigmar Gabriel hören fünf Milliarden Menschen zu. Daß wir nicht alle davon bei uns willkommen heißen können, ist klar. Die aktuelle selbstzufriedene Willkommen-Glücktrunkenheit vieler Deutscher wird bald in einem großen Kater enden, infolge der erwartbaren Integrationsprobleme.“

Wann endlich werden auch die Verantwortlichen in beiden Großkirchen dazu kommen, sauber zwischen politisch Verfolgten, die sich auf das Asylrecht berufen können, und Menschen, die sich ein besseres Leben fern ihrer Heimat versprechen, zu unterscheiden? Im Augenblick werden noch alle in einen „Flüchtlingstopf“ geworfen. „Wir müssen das Grundrecht auf Asyl vor Mißbrauch schützen“, hat der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki vor Monaten erklärt. Schon deshalb, um den wirklich Verfolgten helfen zu können. Woelki hat bei einem Besuch in Albanien nicht nur Not gesehen, sondern auch erfahren können, daß dieses Land unter der massenhaften Abwanderung von Fachkräften leidet.

Schon heute dürfte klar sein: Ist der Willkommensrausch erst einmal ausgeschlafen, werden auch für die Kirchen die Probleme beginnen. Werden sich alle an die Mahnung im Galater-Brief erinnern? Darin heißt es: „Tut Gutes an jedermann, vor allem aber an den Hausgenossen des Glaubens.“ Die „oft dramatische Verfolgung“ der Christen im Nahen und Mittleren Osten wird in dem Wort aus Fulda zwar nicht unterschlagen, aber es kommt erst als drittletzter Punkt zur Sprache. 

Man achte auf die Erfahrungen, die der Berliner Pfarrer der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, Gottfried Martens, gemacht hat. Bei ihm haben sich im vergangenen Jahr mehr als 150 ehemalige Muslime taufen lassen. „Wer das Taufkreuz offen trägt, wird nicht selten bedroht und auch körperlich angegriffen. Da stelle ich mir schon die Frage: Muß man sich als Christ in diesem Land verstecken“, sagt Martens. „Wir müssen aufpassen, daß sich da keine Parallelstrukturen etablieren.“

Die Warnung ist nicht unberechtigt, wie diverse Vorfälle zeigen. Viele Muslime kommen nicht anspruchslos wie einst die Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge aus dem Osten, sie betreten Deutschland eher aggressiv-fordernd. Ob die Kirchen das bedenken? Oder sehen sie in der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den Asylsuchenden, Zuwanderern und „Wirtschaftsflüchtlingen“ eine Chance, das durch Skandale angeschlagene Image zu verbessern?