© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Bilder kann man nicht essen
Begriffe statt Ideen: Der Sprachgebrauch der Deutschen ist nicht unbedingt charmant, zeugt aber von Bedächtigkeit
Robert Backhaus

Die Deutschen“, meinte ein britischer Linguist mit sanftem Sarkasmus und angesichts aktueller Diskussionen, „stellen sich als die größten Idealisten hin – und sind doch in Wahrheit die größten Materialisten! Das sieht man schon an ihrer Sprache. Während wir Engländer und die meisten übrigen Europäer von ‘Ideen’ sprechen, wenn es um die kleinsten Denkeinheiten geht, sprechen sie von ‘Begriffen’. Wir sind mit Urbildern zufrieden, denn Idee heißt Bild. Aber die Deutschen müssen alles erst einmal betatschen und begrabschen, bevor sie mit Denken anfangen. Sehr aufschlußreich!“ Das klingt zweifellos ein bißchen ungerecht.

Man sollte jedenfalls keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Auch die Spanier beispielsweise vermeiden das Wort Idee, wenn sie den Begriff meinen. Sie sagen „concepto“, was ja auch von anfassen kommt, wenn auch nicht von begrabschen und betatschen, eher von umfassen, umarmen. Die Spanier umarmen ein Phänomen also, wenn sie es als Subjekt in ihre Sprache aufnehmen wollen, die Deutschen begrabschen und betatschen es lieber erst einmal gründlich. Das ist nicht unbedingt charmant, aber es zeugt von Vorsicht und Bedächtigkeit.

Mit schnödem Materialismus und Egoismus hat es jedoch nichts zu tun. Man traut dem handfesten Tastsinn, wenn es um Wichtiges geht, eben mehr zu als dem Auge, das einen leicht, allzu leicht täuschen und auf falsche Wege führen kann. Der Sperling in der Hand ist grundsätzlich mehr wert als die Taube auf dem Kirchturmdach.

Bilder kann man nicht essen. Dieser Satz steht freilich nicht in dem Werk eines bärbeißigen deutschen Materialisten, stammt weder von Georg Büchner noch von Jakob Moleschott, er soll von dem Engländer Gilbert Keith Chesterton (1874–1936) stammen, der dann fortfährt: „Aber der Mensch ist bereit, für jede Idee zu sterben, vorausgesetzt , daß ihm die Idee nicht ganz klar ist.“