© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Der französische Philosoph Michel Onfray ist ein unabhängiger Geist. Seine Ablehnung des üblichen akademischen Betriebs spricht dafür und auch die Gründung einer Art freier Universität. Dann erregte er Aufsehen mit der Feststellung, daß er lieber mit Alain de Benoist recht als mit dessen Gegnern unrecht habe, und nun äußert er in einem Interview, daß es mit der Linken nichts mehr sei, weil die das Volk verachte und lieber Minderheiten kreiere, um sich zu deren Sprachrohr zu machen und irgendwelche absurden Ansprüche durchzusetzen. Das ist bei Onfray etwas durchaus anderes als die Bekehrung der „Neuen Philosophen“ vom Marxismus: da werden Fiktionen des Universalismus zerlegt.

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Lorenz Jäger über „Das Heerlager der Heiligen“, 2005: „Raspails Roman ist grotesk-apokalyptisch bis zur Obszönität, er schwelgt im Häßlichen, Grausamen, und vielleicht war dies der Preis für die visionäre Kraft. Der Autor verlängerte, wie Orwell in der negativen Utopie ‘1984’, die Linien seiner Gegenwart.“

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Lorenz Jäger über „Das Heerlager der Heiligen“, 2015: „Raspails literarische Leistung geht aber über das Groteske und Apokalyptische weit hinaus. Und dies ist es, was das Buch auch heute lesbar macht: die ungemein starke satirische Kraft in der Vision, die der europäische Zerfallsprozeß freisetzt.“

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Es läuft momentan die Vorstellung um, daß die hemmungslose Bereitschaft zur Aufnahme Fremder irgendwie mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe zu tun habe. Zur Klarstellung: a) es handelt sich um kein christliches Gebot im eigentlichen Sinn, es stammt schon aus dem Alten Testament; b) die jüdische Auffassung des Gebotes zur Zeit Jesu sah so aus, daß man es als Rechtfertigung der Binnenmoral verstand: Liebe deinen Volks- und Religionsgenossen, die übrigen können dir gestohlen bleiben; c) dem hat Jesus mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter grundsätzlich widersprochen; d) aber doch nicht im Sinne einer wahllosen Zuwendung, sondern als Aufforderung, im konkreten Fall den Willen Gottes zu tun, denn dem Gebot steht das Gebot der Gottesliebe voran. Womit hinreichend deutlich sein sollte, daß hier nicht irgendwelche Haarspaltereien über Distanzverhältnisse – wann schlägt Nächsten- in Fernstenliebe um? – am Platz sind, sondern es lediglich um die Beantwortung einiger einfacher Fragen geht: Kann es Gottes Wille sein, daß intelligente, arbeits- und revolutionsfähige Männer ihre Heimat verlassen, statt die Verhältnisse daselbst in Ordnung zu bringen? Kann es Gottes Wille sein, daß egal wer auch immer hierher kommt, statt zu Hause zu bleiben, wo er hingehört? Kann der Untergang Deutschlands Gottes Wille sein? Kann der Untergang Europas Gottes Wille sein? Sicher gibt es auf der einen oder anderen protestantischen Kanzel und ganz bestimmt in den Teilnehmerkreisen evangelischer Akademien und Eine-Welt-Gruppen und selbst an der Spitze katholischer Bistümer Menschen, die diese Fragen bejahen – für die wollen wir dann beten.

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„Das Mißverhältnis zwischen den Ereignissen und der Art und Weise, wie sie aufgenommen und verarbeitet wurden, auf der einen Seite und dem selbstgerechten Blödsinn und den dreisten Täuschungen praktisch ALLER Politiker (…) auf der anderen Seite. Die Stimmen, die zuständig sind, wenn es gilt, ein solches Ereignis zu kommentieren, schienen sich zu einer Kampagne verschworen zu haben. Ihr Ziel: die Öffentlichkeit noch mehr zu verdummen.“ (Susan Sontag, 2001, nach den Anschlägen des 11. September)

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Aufschlußreicher als der Verfall der Antiquariatspreise im allgemeinen ist die gleichzeitige Hausse in speziellen Bereichen: NS-Literatur, Verschwörungstheorien, einige Autoren und deren Bücher zu politischen Großthemen. Für ein Taschenbuchexemplar von Zbigniew Brzezinskis „Die einzige Weltmacht“ werden 169 Euro verlangt, für eine gebundene Ausgabe leicht das Dreifache.

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Gegen das Wort „Gefühlsduselei“ empfand ich immer einen ausgeprägten Widerwillen. Aber er schwindet.

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Der Flirt der äußersten Linken mit Marine Le Pen ist kaum die Morgenröte einer „Querfront“, von der politische Romantiker träumen, aber doch ein Hinweis auf die wachsende Unsicherheit des sozialdemokratisch-sozialistisch-kommunistisch-libertären Lagers, und ein zweiter darauf, daß sich die Weltanschauungen neu formieren.

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Gerade endete die Truppenübung „CONEX 15“ der schweizerischen Armee im Nordwestteil des Landes und am Jura. Das Szenario für das Manöver sah eine Wirtschaftskrise in Europa vor, die sich auch auf die Schweiz auswirkt, vor allem durch die Flüchtlingsströme, die den ethnischen Konflikten entkommen wollen, von denen der Rest des Kontinents heimgesucht wird.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 16. Oktober in der JF-Ausgabe 43/15.