© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Auf der Jagd nach dem blauen Gold der Ozeane
Ausbeutung genetischer Meeresressourcen: Patente sind schon angemeldet / Es mangelt an völkerrechtlicher Regelung
Christoph Keller

Seit 2005 bereitet eine UN-Arbeitsgruppe ein internationales Abkommen vor, das die Nutzung meeresgenetischer Ressourcen regeln soll. Da erst Ende 2015 die UN-Vollversammlung beschließt, ob und wann konkrete Verhandlungen beginnen, dürften wohl noch einmal zehn Jahre vergehen, bis darüber ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag vorliegt.

Bei so gemächlichem Tempo, glaubt der auf globales Umweltmanagement spezialisierte Politologe Florian Rabitz, werde die UN-Bürokratie Konflikte kaum verhindern können, die sich um die Ausbeutung des „blauen Goldes“ anbahnen (Blätter für deutsche und internationale Politik, 7/15). Denn längst richten sich Begehrlichkeiten der biotechnologischen Industrie auf scheinbar unbedeutende Meeresorganismen: Bakterien, Schwämme und Algen, deren kommerzieller Nutzen tatsächlich „gewaltig“ sei. Heute bereits spielen sie in der Krebs- und Alzheimertherapie eine wichtige Rolle, genauso wie bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten.

Über Algen, Schwämme und  Bakterien wacht niemand

Außerhalb der Fachwelt bekannter sind Impfstoffe für die Fischzucht oder Experimente mit genmodifizierten Algen, die vielleicht zur Herstellung neuer Treibstoffe und zum Kohlenstoffdioxid­abbau zu nutzen sind.

In Deutschland operieren Konzerne wie BASF, Henkel und Beiersdorf auf diesem lukrativen Forschungsfeld und haben erste Patente angemeldet. Staatlich geförderte Forschungskapazitäten, wie der „Nationale Masterplan Maritime Technologien“, seien ebenfalls schon mobilisiert worden. Damit habe man den Punkt erreicht, wo die internationalen „Konfliktlinien“ sich aktuell abzeichnen. Denn einerseits verschlinge der technologische Zugriff auf diese Meeresressourcen Unsummen, was die meisten Interessenten des globalen Südens ausschließe. Und zweitens sind die Unternehmungen der blauen Biotechnologie völkerrechtlich nicht geregelt, da die Internationale Meeresbodenbehörde nur über die Ausbeutung von Mineralien, nicht die von biologischen Organismen wacht.

Voraussetzung für die Finanzierung sei die Patentierung, denn nur Patentrechte generieren Mittel für Investitionen in teure Forschungsvorhaben. Um trotzdem zu verhindern, daß nur ein kleiner Kreis technologisch und finanziell potenter Konzerne und Industriestaaten sich den Kuchen teilt, könnte man das Regime der UN-Meeresbodenbehörde auf Algen und Bakterien ausdehnen. Die Prüfung von jährlich Tausenden von Explorationsanträgen würde sie jedoch administrativ überfordern. Überhaupt lassen sich Regelverstöße auf hoher See kaum aufdecken. Internationaler Konsens bei blauer Biotechnologie sei mithin „unwahrscheinlich“. So bleibt für Florian Rabitz nur die Hoffnung auf die EU. Anders als die USA zeige sich der zweitgrößte Akteur auf diesem Geschäftsfeld der Zukunft „kompromißbereit“ und offen für „konstruktive“ UN-Lösungen.