© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Haltungsnote
Gekrönt mit Arglosigkeit
Christian Rudolf

Hochgewachsen, im straßbesetzten goldfarbenen Bikini, eine Locke brauner Haare keck aus dem Gesicht gekämmt, ein gerader, selbstbewußter Blick aus ausdrucksvollen dunklen Augen, eine einnehmende, doch nicht aufdringliche Gesamterscheinung – die Jury, die Alice Sabatini zur aktuellen Miss Italia kürte, hat geschulten Geschmack bewiesen. Beinahe wäre für die 18jährige aus der Region Latium, die Chemie und Pharmazietechnologie studiert und ehrgeizig Basketball spielt, noch alles schiefgegangen: Zum Brauch gehört es, den Esprit der Schönheiten in die Wertung mitaufzunehmen. Vorgeblich jedenfalls. Auf die abseitige Frage, in welcher Epoche sie denn gerne gelebt hätte, gab Alice mit der Startnummer 5 die ungewöhnliche Antwort: „1942, würde ich sagen, um den Zweiten Weltkrieg zu sehen.“ Jurymitglied Claudio Amendola erkundigt sich, weswegen: „Man liest ja nur seitenweise darüber. Ich hätte das wirklich gern gesehen. Und als Frau hätte ich nicht zum Militär gemußt, sondern wäre zu Hause geblieben.“ Die Jury tauscht Blicke aus, das Publikum raunt erstaunt. Fettnäpfchen? Uff, uff: Alice erhielt die Siegesschärpe und marschierte mit Krönchen auf dem Haupt ab. Doch ihre wirkliche Auszeichnung ist ihre Arglosigkeit, nicht wahr? Wir gratulieren!